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Die Strafe - The Memory Collector

Titel: Die Strafe - The Memory Collector Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Gardiner
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um. Der Rahmen knarrte beleidigt, aber sie schaffte es, das Fenster gut einen halben Meter aufzuziehen. Platz genug, um hinauszuschlüpfen, wenn sie das Sperrholz ablösen konnte.

    Sie legte die Handflächen dagegen. Das Holz war warm und trocken. Sie presste, doch es bewegte sich nicht.
    Sie stemmte sich auf die ächzenden Federn des Bettrahmens und drückte erneut. Kein Glück. Wenn ihr kein Klauenhammer ins Zimmer gebeamt wurde, brachte sie das Brett nie weg.
    »Das wär doch mal was«, knurrte sie.
    Ian hatte ihr von Slick erzählt. Auf dem Parkplatz vor der Firmenzentrale. Dabei hätte er nie mit ihr über das Traumprojekt von Chira-Sayf reden dürfen; eigentlich hätte nicht einmal er selbst so viel darüber wissen dürfen.
    »Alec macht sich Sorgen«, hatte er ihr verraten.
    Alec mochte sich Sorgen machen, aber in Ian kochte es. Der blanke Zorn stand in seinem Gesicht, das hinter den Sommersprossen und den eisig blauen Augen ganz bleich geworden war.
    »Irgendwas ist passiert. Slick funktioniert nicht wie geplant. Alec will das Projekt einstellen.« Er fixierte sie. »Das bleibt aber unter uns.«
    »Natürlich.« Sie war zutiefst beunruhigt. Ian Kanan ließ seine Arbeit sonst immer im Büro. Redete nie mit den anderen über internen Klatsch oder Produktentwicklung. Wenn er sich äußerte, dann nur über die Oakland Raiders oder über Personenschutz. Er spielte den Einzelgänger.
    Aber er wusste, dass mit Slick etwas schiefgelaufen war. Die Killerapplikation von Chira-Sayf hatte sich gegen das Unternehmen gewandt.
    »Alec zieht den Stecker. Die Militärs kriegen nichts.« Er starrte durch die Windschutzscheibe. »Hinter den Kulissen gibt es ein Gerangel.«

    »Zwischen wem?«, fragte sie.
    »Zwischen Alec und den Leuten, die gegen die Einstellung des Projekts sind. Die glauben noch immer, dass diese Wunderwaffe genau das Richtige für das Unternehmen ist.« Er lächelte bitter. »Sie haben mich sogar um meine Meinung als Exsoldat gebeten.«
    »Wollen die dich da mit reinziehen?«
    »Noch nicht. Und falls doch, werden sie es bereuen. Dann regle ich die Sache auf meine Weise.«
    Und wenn Ian eine Sache auf seine Weise regelte, hatte das unschöne Folgen.
    Die Nägel in den Brettern rührten sich nicht. Sie wischte sich die Hände an der Jeans ab. Vielleicht konnte sie die Sperrholzplatte spalten. Sie war trocken und brüchig. Sie strich mit den Fingern über die Oberfläche, bis sie einen kleinen Riss fand, knapp einen Zentimeter lang.
    Das Fenster ging zur Straße. Vielleicht konnte sie etwas durch den Riss stecken, um Passanten auf sich aufmerksam zu machen. Mit einer Fahne winken. Irgendwas.
    Aber was? Sie hatte keinen Ausweis. Handtasche, Telefon, Auto- und Hausschlüssel hatten sie ihr abgenommen. Auch den Schmuck und sogar den Ehering, diese diebischen Scheißkerle. Und dann hatten sie sie in dieses stinkende Zimmer verfrachtet.
    Sie wandte sich der braunen Papiertüte zu. Darin waren die Kleider, die ihr Murdock in einer merkwürdigen Anwandlung von Großzügigkeit überlassen hatte: einen Rollkragenpulli, eine Wollhose, eine Bluse, ein Designer-Sweatshirt. Sie griff nach dem Sweatshirt. Die Kordel aus der Kapuze konnte sie vielleicht irgendwie verwenden.

    Moment. Sie drehte den Saum nach außen. Da, ein Reinigungsetikett.
    Calder.
    Ihr Herz klopfte schneller. Was hatte das zu bedeuten?
    Dann beschlich sie ein unheimlicher Verdacht. Sie nahm die Hose und überprüfte den Bund. Wieder fand sie ein Reinigungsetikett. Sie suchte die Bluse ab. Das Gleiche.
    Diese Kleider schrien förmlich danach, dass sie von jemandem identifiziert wurde. Zum Beispiel von jemandem, der in der Bucht eine Leiche aus dem Watt zog.
    »Heilige Scheiße«, flüsterte sie.
    Sie setzte sich aufs Bett und trennte den Saum der Bluse mit den Zähnen auf. Wie eine Krankenschwester bei der Vorbereitung eines Feldverbands riss sie das Schild mit einem langen Streifen Stoff heraus und machte sich an die Arbeit.
     
    Jo betrat die Radiologie mit dem Gefühl, dass ihr etwas im Nacken saß und nur auf die Gelegenheit zum Zuschnappen wartete. Lieutenant Tang stand im Korridor und sprach mit beunruhigter, grimmiger Miene ins Telefon. Sie deutete mit dem Kopf zur Tür. »Geh gleich rein.«
    In dem Raum herrschte eine kühle, gedämpfte Atmosphäre mit Röntgenaufnahmen in Lichtkästen und Kernspinbildern auf dem Computermonitor. Knochenkunst. Seelen, bis auf Neuronen und graue Materie entblößt. Rick Simioni wartete neben dem Schreibtisch. Er

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