Die strahlenden Hände
daß sie Beamte und Diener des Staates sind. Und hier stehen Hunderte herum, werden angeblich geheilt, und niemand ist zuständig bei soviel Staatsdienern auf Lebenszeit. Wie soll man das verstehen?
Marius Herbert erschien wieder in der Tür und nickte Marikje zu. »Kommen Sie rein!« sagte er. »Aber nur für fünf Minuten. Und wehe Ihnen, wenn Sie mich belogen haben!«
»Ich habe gar nichts zu Ihnen gesagt.«
»Sie seien ein Notfall, haben Sie behauptet.«
»Nichts habe ich behauptet. Hier, der Polizist ist mein Zeuge. Ich habe nur gesagt: Muß ich erst ein Gerippe sein, um …«
»Kommen Sie rein!« sagte Herbert laut. Er winkte dabei einem der Krankenwagen zu. Die wartenden Träger öffneten die Hecktür und griffen an die Holme der Trage. »Nur fünf Minuten. Sie sehen ja, es kommt ein echter Notfall.«
Marikje Kerselaar betrat das Zelt. Sie kam zunächst in einen Vorraum, der kahl und leer war bis auf ein paar Stühle und einen Tisch mit Zeitungen. Eine hohe Holzwand trennte ihn von dem eigentlichen Behandlungsraum. Die Tür stand offen, und Herbert zeigte hinüber.
»Gehen Sie weiter. Sie brauchen keine Angst zu haben.«
»Angst?« Es klang wie ein Kampfruf. Marikje zog den Kopf etwas in die Schultern und betrat mit energischen Schritten den anderen Raum.
Corinna saß auf einem Holzsessel, rauchte eine Zigarette und sah genauso aus wie auf den Bildern in den Illustrierten oder bei Fernsehreportagen. Sie trug ein schlichtes hellgraues Kleid mit einer Stickerei an den Schultern und war von einer ergreifenden Schönheit. Gerade in der nackten Nüchternheit des Zeltraumes wirkte sie wie eine Erscheinung aus einer fernen, fremden, unwirklichen Welt. Der Haß in Marikje flammte erneut auf. Das ist das ganze Geheimnis ihres Zaubers, dachte sie. Davor schmelzen die Männer dahin, das fasziniert die dämlichen Weiber: Eine fremdländische Schönheit, eine kaukasische Maria, die ihre Hände hebt und alle Dummen glauben macht, es kämen Strahlen aus ihren Fingerspitzen. Welch ein herrliches, raffiniertes Aas!
Sie standen sich gegenüber, sahen sich stumm an und musterten sich wie japanische Ringer, bevor sie aufeinander zustürzen.
»Sie sind sehr krank, sagt Marius«, begann Corinna das Gespräch. »Wo spüren Sie die Krankheit?«
»Überall.« Marikjes Gesicht war ausdruckslos geworden. Nun beiß dich an dieser Antwort fest, dachte sie frohlockend. Überall … da kannst du jetzt im Körper herumirren und dir etwas aussuchen, was für jeden glaubhaft klingt. Alle da draußen werden dich wie eine Heilige verehren – mir aber wirst du keine Krankheit einreden. Ich bin gesund! Nun komm schon und erfinde für mich eine schöne Krankheit.
Corinna kam auf Marikje zu, ihre Blicke kreuzten sich wie Schwertklingen, und wortlos hob Corinna beide Hände und ließ sie in zehn Zentimeter Entfernung über den Körper der Besucherin gleiten. Plötzlich schloß sie die Augen, hob noch einmal die Hände und führte die Untersuchung zum zweitenmal aus. Dabei zuckte es in Corinnas Gesicht; ihre Lippen verschwanden fast, wurden zu einem dünnen, herben Strich; ihre hohen Backenknochen drückten sich spitz durch die Haut. Kleine Schweißperlen traten auf ihre Stirn und liefen über die Augen an der Nase herunter.
Ganz gegen ihren Willen bewunderte Marikje sie in diesem Augenblick. Welch ein vollendetes Theater, dachte sie mit Hochachtung. Das macht ihr keiner nach. Das muß jeden Menschen bis ins tiefste ergreifen. Das kann niemand abschütteln. Da bleibt einem der Atem stehen. Das ist Meisterschaft! O du verdammtes kluges Luder … du hast entdeckt, wie man die Menschen willenlos macht.
Corinnas Hände sanken an ihren Körper zurück. Sie blieb steif vor Marikje stehen, mit geschlossenen Augen und schweißüberströmtem Gesicht. Ein unvergeßlicher Anblick. Ein sagenhaft raffinierter Zauber, so sah es Marikje.
»Sie haben oft Schmerzen im Brustbein?« fragte Corinna plötzlich.
»Ja!« Marikjes Augen hinter der Goldbrille weiteten sich.
»Und an den Rippen?«
»Auch! Das kommt vom vielen krummen Sitzen …«
»Manchmal haben Sie Schmerzen im Schädel, als läge er in einem Schraubstock …«
»Ich bin migräneanfällig. Bei Wetterwechsel. Nichts, was mich aufregt. Haben Millionen Frauen in meinem Alter.«
»Nein, das haben sie nicht.« Corinna senkte den Kopf, wischte sich den Schweiß vom Gesicht und trat zurück. Mit zitternden Fingern riß sie eine Zigarette aus der Packung auf dem Tisch. Erst nach vier langen
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