Die strahlenden Hände
Zügen sprach sie weiter: »Fahren Sie sofort zurück und melden Sie sich in einer großen internistischen Klinik. Ich rate Ihnen zu Erlangen, Freiburg oder München. Ich kann Ihnen nicht mehr helfen …«
»Was soll das heißen?« Marikjes Stimme klang gepreßt und plötzlich sehr hohl. Sie riß die Brille von der Nase, putzte sie am Ärmel ihres Kleides, setzte sie wieder auf, ging zwei Schritte auf Corinna zu, hielt dann ruckartig inne und fixierte sie mit starren Blicken, den gleichen Blicken, denen Marius Herbert nicht standgehalten hatte. An Corinna prallten sie wirkungslos ab.
»Sie sind sehr krank …«, sagte Corinna erschöpft.
»Das können Sie spüren, nur mit den Händen? Sie haben mir nicht einmal in die Augen geschaut.«
»Ich habe in Ihren Körper hineingesehen.«
»Mit geschlossenen Augen?« Marikje lachte hart auf. »Erzählen Sie mir das nicht! Eine Augendiagnose ohne Augen! Ich habe Ihnen viel zugetraut, aber eine solche Frechheit überbietet alles.«
»Ich habe mit meinen Fingerspitzen in Sie hineingesehen.« Corinna wandte sich ab, griff nach einem Glas Tee und trank ein paar Schlucke des kalten Getränkes. »Gehen Sie sofort in eine Klinik.«
»Ich bin nicht krank!« In Marikjes Stimme klang Triumph. »Ich wollte nur sehen und hören, was Sie hier treiben. Darum bin ich gekommen. Völlig gesund bin ich. Sie dichten den Leuten Krankheiten an, und wenn bei einer Nachuntersuchung Symptomfreiheit diagnostiziert wird, eben weil sie gesund sind, heißt es: Ich habe Sie geheilt! – Tatsächlich die einfachste Methode, und alle fallen immer wieder darauf herein. Gratuliere! Sie sind raffinierter als ich dachte.«
»Sie spüren noch nichts«, sagte Corinna müde, »aber Sie haben den Tod in sich. Ist das deutlich genug? Ihre unregelmäßigen Knochenschmerzen im Brustbein und an den Rippen, Ihre Kopfschmerzen, die Sie Migräne nennen, die Schmerzen in den Wirbeln – das sind keine Arthrosen. Es ist genau das Gegenteil. Wie soll ich Ihnen das erklären? Die netzförmigen Plasmazellen des Knochenmarks befinden sich bei Ihnen in einer tumorartigen Wucherung. Ihre Knochen verändern sich dadurch. Die Knochensubstanz wird zerstört. Sie müssen sofort in eine Klinik. Sagen Sie den Ärzten, Sie hätten ein Plasmozytom. Können Sie das behalten?«
»Natürlich! Plasmozytom. – Und was werden die Ärzte sagen?«
»Die werden Sie ungläubig anstarren, aber dann sehr munter werden.«
»Und Sie können sich nicht irren?«
»Natürlich kann ich mich irren. Jeder Mensch irrt sich mehr oder weniger.«
»Sie irren sich. Ich bin gesund!« Marikje Kerselaar stieß wieder ihr hartes Lachen aus, blickte Corinna mit großer Verachtung an und ging dann zur Tür. »Sie sind wirklich das frechste Ding, was man sich denken kann. Wie überzeugend Sie das sagen! Das muß Ihnen jeder glauben … nur ich nicht!« Sie streckte den Kopf vor wie ein zuschlagender Habicht. Ihre Augen hinter den Brillengläsern funkelten böse. »Sie wissen selbst, wie gefährlich Sie sind, nicht wahr? Wie lange wollen Sie dieses Spiel noch treiben? Wie lange säen Sie noch Angst und sinnlose Hoffnung unter die armen Menschen, die so voll Glauben zu Ihnen kommen? Sie sind keine Heilige, Sie sind ein Teufel. Das weiß ich nun.«
Sie drückte die Tür auf, ging aus dem Zimmer, eilte durch den großen Vorraum, warf in den Zinntopf eine einzelne Mark, sagte zu Herbert, der danebenstand: »Mehr war's nicht wert!« und verließ mit großer Wut im Herzen das Zelt.
Sobald die Tür zugefallen war, ging Herbert in den Nebenraum. Corinna stand am Tisch und rauchte hastig.
»Was war los?« rief er. »Die rauscht hinaus, als hättest du sie in den Hintern getreten. Dabei sagte sie, sie sei ein Notfall …«
»Das ist sie!« Corinna zerdrückte den Rest ihrer Zigarette. »Wie heißt sie?«
»Sie hat keinen Namen genannt. Du hast gesagt: Wer seinen Namen nicht nennen will, soll ihn für sich behalten.«
»Schade. In diesem Fall ist es schade. Sie wird ein furchtbares Sterben haben. Und niemand kann es aufhalten. Multiple Myelome sind unheilbar. Lauf ihr nach, Marius, sie muß sofort in ein Krankenhaus!«
Aber Marikje Kerselaar war in der Menge der Menschen verschwunden. Marius lief herum, fragte die anderen Wartenden nach ihr; einige hatten sie gesehen, und eine Frau glaubte, sie sei in einen dunkelgrünen Wagen gestiegen. Nein, die Automarke habe sie sich nicht gemerkt.
»Sie ist fort«, sagte Herbert, als er ins Zelt zurückkam. Corinna
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