Die strahlenden Hände
erhob sich von der Couch, trat nahe an Roemer heran und hob die Handfläche der rechten Hand. Roemer starrte sie mit weiten Augen an, versteifte sich und stand da, als sei er versteinert. Ganz langsam fuhr Corinnas Hand in einem Abstand von zehn Zentimetern über seinen Körper – von den Schultern bis zu den Hüften, kehrte zurück zum rechten Oberbauch und verhielt dort. Roemer war es, als zerre jemand an seinen Eingeweiden. Er biß die Zähne zusammen und wagte nicht laut zu atmen. Auch Dr. Hambach und Dr. Willbreit blickten auf Corinna. Nur ihr Vater bewegte sich, ging leise zum Buffet und holte ihre Zigarettenschachtel. Er kannte das ja: Hinterher brauchte sie ihre etwas süßlichen Orientzigaretten. Dann saß sie da und inhalierte den Rauch wie eine Medizin gegen Bronchitis. Ljudmila auf ihrer Couch legte die Hände zusammen, als wolle sie beten.
»Sie haben manchmal eine Zyanose?« fragte Corinna mit einer merkwürdig gleichförmig klingenden Stimme.
»Was ist das?« stotterte Roemer.
»Manchmal werden Ihre Lippen blau, stimmt's? Und manchmal wird sogar Ihr Gesicht blaurot.«
»Stimmt! Immer, wenn ich so richtig einen gesoffen habe …«
»Natürlich! – Und Sie haben auch ab und zu Schmerzen im rechten Oberbauch. Hier genau.« Ihr langer Zeigefinger wies auf eine bestimmte Stelle. Unwillkürlich zuckte Roemer zusammen, obwohl ihm nichts weh tat.
»Ja!« sagte er laut. »Ab und zu. Aber wer achtet darauf? Wir hatten einen Onkel in Ochtrup, der baute Sandgruben ab. Wenn der Schmerzen im Bauch hatte, sagte er nur: ›Kiek nich hin, Jungchen – da sitzt 'n Furz quer …‹ Das mußte stimmen, denn Onkel Hermann starb mit sechsundneunzig an Arterienverkalkung. Und das habe ich mir auch gesagt, wenn's hier weh tat. Ist'n verklemmter Furz …« Er sah hinunter auf Corinnas schwarze Haare, die nahe vor ihm waren. »Und was ist es nun? Ehrlich?«
»Sagen Sie Ihrem Freund, Herrn Professor Dr. Willbreit, er soll Sie auf Urobilinogenurie untersuchen. Ich kann hier keine Aldehydprobe machen.«
»Die Mediziner mit ihrem Scheißlatein!« In Roemer kam Bewegung. Er fuhr herum und sah Willbreit an. Der stand an der Tür und hatte die Augen etwas zusammengekniffen. »Was heißt das alles? Dem Wortklang nach muß das ja was ganz Tolles sein!«
»Sie haben's an der Leber«, antwortete Dr. Hambach, bevor sich Willbreit dazu äußern konnte.
»Wir werden das morgen sofort feststellen«, sagte Willbreit gepreßt, »aber jetzt möchte ich nicht länger in dieser Zirkusatmosphäre bleiben.«
Corinna trat von Roemer zurück, legte die flachen Hände gegeneinander und hielt sie vor ihr Gesicht. Über die Fingerspitzen hinweg blickte sie den Riesen an. Sein flackernder Blick verriet seine große, menschlich verständliche Unsicherheit.
»Ich glaube – ich weiß es nicht genau –, aber ich glaube: Sie haben eine Stauungsleber«, sagte Corinna leise, aber deutlich. Es war, als spreche sie von innen heraus. Als lausche sie auf etwas, das ihr die Worte vorgab und die sie jetzt nur wiederholte. »Ja, Ihre Leber hat sich verändert … der Blutabfluß stimmt nicht mehr … noch geht das alles still vor sich, nur mit kleinen äußeren Anzeichen … aber einmal, in kurzer Zeit, wird es dramatisch werden …«
»Meine Leber!« Roemer atmete ein paarmal tief durch. Zu Willbreit wagte er jetzt nicht hinüberzusehen; der hatte ihn oft genug gewarnt und lachend die Antwort bekommen: »Lieber 'nen Bauch vom Saufen als 'nen Buckel vom Arbeiten!« Nun war es soweit, und Roemer stand herum wie ein Kind, dem man dem Teddybären den Kopf abgerissen hatte. »Was … kann man da tun?« sagte er mit schleppender Zunge.
»Zunächst dieses Haus verlassen und vergessen, was du gehört hast!« rief Willbreit bissig von der Tür. Er hatte sie aufgestoßen und stand schon halb in der Diele. Die akademische Höflichkeit, auf die er immer so großen Wert legte, hatte er völlig abgestreift. »Was hier geredet wird, ist schon kriminell!«
»Es wäre wirklich besser, Sie gingen jetzt, Herr Professor«, sagte Doerinck sehr betont. »Bei Ihrem Besuch war ich davon ausgegangen, daß eine vernünftige Unterhaltung möglich sei. Wie man sich täuschen kann! Warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, daß meine Frau geheilt ist?«
»Ich nehme zur Kenntnis, daß alles unklar ist.« Willbreit trat weiter hinaus in die Diele. Dr. Hambach und Doerinck folgten ihm. Roemer blieb allein im Zimmer zurück. »Im übrigen ist mir die Betreuung Ihrer Frau aus der Hand
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