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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ruhe, die Roemer bleischwer in die Beine fuhr. »Aber sie wird auch gesagt haben: Ich werde Sie heilen.«
    »Nein!« Roemer brach der kalte Schweiß aus. Er konnte nichts dagegen tun, es war nicht aufzuhalten. »Nein … nichts hat sie gesagt.«
    »Dann ist es ernst!«
    »Sie haben hier alle ein Gemüt!« keuchte Roemer. »Ein Gemüt, das mich umhaut. Gnädige Frau, ich bitte um Verzeihung.« Er ließ sich in einen der Sessel fallen, das Möbel ächzte gefährlich unter seinem Gewicht, aber es hielt stand. Dann streckte er die Beine weit von sich in den Raum, warf den Kopf in den Nacken, betrachtete die mit Rauhfaser tapezierte Decke, hellocker gestrichen, und schloß die Augen. Was soll ich tun, dachte er. Auf meinen Freund Thomas Willbreit hören und lachen, diese Corinna ein dämliches Frauenzimmer nennen, eine Scharlatanin, eine gerissene Gauklerin? Denken wir einmal juristisch: Wenn sie das alles ist, kann sie gefährlich werden. Gefährlich, indem sie den Menschen Krankheiten andreht, an denen sie dann seelisch zugrunde gehen können. Sie kann zu einer Gefahr für die Allgemeinheit werden. Andererseits gibt es kein Gesetz, das einem verbietet, zum anderen zu sagen: Du bist todkrank! – Wenn der andere das glaubt, ist es seine eigene Blödheit. Was aber, wenn es in meinem Fall stimmt? Wenn ich wirklich etwas im Körper habe, von dem niemand etwas weiß, am allerwenigsten ich selbst? Was soll ich tun, wenn sie die Wahrheit spricht? Noch ein Jahr – das ist eine klare Aussage. Warum hat sie es gesagt? Um Thomas Willbreit zu treffen? Um ihm eins an die Ohren zu hauen, auf meine Kosten? Ist sie solch ein Luder?
    Doerinck, Willbreit und Dr. Hambach kamen nun auch ms Zimmer. Als letzte folgte Corinna und zog die Tür hinter sich zu. »Alle freuen sich auf deinen Birnenkuchen, Mamuschka«, sagte sie. »Darf ich ihn holen?«
    »Ich glaube, wir brauchen gar nicht Platz zu nehmen.« Willbreit ging etwas steif auf Ljudmila zu, gab ihr die Hand und musterte sie. Sie sah hervorragend aus, auch wenn man sich ihr Make-up wegdachte. Jeder medizinischen Erfahrung zufolge hätte sie jetzt eigentlich abgezehrt im Bett liegen müssen, apathisch unter starken Schmerzmitteln, hoffnungslos auf die Erlösung wartend. Willbreit hielt ihre Hand fest. Auch kein Fieber, dachte er. Das alles kann es nicht geben! »Wie fühlen Sie sich?« fragte er.
    »Wunderbar! Gestern bin ich sogar radgefahren, Herr Professor.«
    »Sie sind … was? Radgefahren?«
    »Von Hellenbrand nach Höpingen und am Nohnenberg vorbei über Darfeld nach Hause. Die Sonne schien so schön, es war herrlich. Hinter Vögeling haben wir Rast gemacht, richtig Picknick, wie früher. Ich hatte einen Korb mit Schinken, Brot und Doppelkorn bei mir …«
    Bei dem Namen Vögeling wurde Roemer wieder munter und regte sich. Aber er war über sich selbst viel zu sehr erschüttert, um das zum Anlaß zu nehmen, einen seiner typischen Witze oder Aussprüche loszulassen. Er sah Ljudmila nur an, grinste bitter und schob sich im Sessel etwas höher.
    »Und hinterher?« fragte Willbreit heiser.
    »Was soll hinterher gewesen sein?«
    »Sie haben Brot – sicherlich Vollkornbrot –, Schinken und Schnaps zu sich genommen – und dann hatten Sie keine Beschwerden?«
    »Stefanka … mein Mann, hat behauptet, ich sei auf dem Rückweg ein paarmal Zickzack gefahren. Aber das sagt er nur, um mich zu ärgern.« Sie blickte hinüber zu Roemer, der an seiner Unterlippe nagte. »Herr Landgerichtsdirektor! Kann man einen Radfahrer wegen Trunkenheit an der Lenkstange bestrafen? Stefan behauptet das.«
    O Gott! dachte Roemer, laß mich jetzt wie diese Russin sein!
    Willbreit enthob ihn einer Antwort, indem er fortfuhr: »Und was weiter, Frau Doerinck?«
    »Nach dem Ausflug habe ich mich hier auf die Couch gelegt, und Corinna hat mich behandelt.«
    »Mit ihrem Streicheln?«
    »Womit denn sonst?« sagte Doerinck aus dem Hintergrund.
    »Aber es war nicht nötig.« Corinna kam zur Couch und setzte sich neben ihre Mutter. Welch ein Bild, dachte Roemer und kam sich noch elender vor. Warum malt kein Maler solch eine geballte Harmonie? Weil sie ihm keiner abnimmt, das ist es. Weil sie ihm keiner glaubt. Weil man sagen würde: Das ist rosaroter Kitsch. – Und keiner gesteht sich ein, daß die Wirklichkeit noch viel ›unglaubwürdiger‹ ist. Ein Sonnenuntergang über dem Meer … eine blühende Almwiese … der aufsteigende Frühnebel am Waldrand: Wer so etwas malt, wird verlacht. Verspottet wie jemand, der

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