Die strahlenden Hände
erwartet«, sagte Willbreit spitz. »Allerdings nicht eine solche Unverfrorenheit! Wie kommen Sie dazu …«
»Wäre es nicht besser, erst ins Zimmer zu gehen?« unterbrach Doerinck und versuchte ein höfliches Lächeln. »Meine Frau hat einen Kuchen gebacken. Einen Birnenkuchen. Birnen mit Rosinen und Honig, ein kaukasisches Rezept. – Wenn ich bitten dürfte …«
»Zum Teufel mit Ihrem Birnenkuchen!« brüllte Roemer. Seine Augen zeigten nun helle Angst, seine Lippen verfärbten sich bläulich, auch das Atmen wurde schwerer. »Man behauptet, ich sei ein toter Mann – und Sie bieten mir Birnenkuchen an!«
»Sie sind noch nicht tot.« Corinna sagte es ganz ruhig. Ihre schwarzen Augen mit den goldenen Punkten darin musterten Roemer von oben bis unten. »In einem Jahr vielleicht …«
»Seien Sie endlich still!« rief Willbreit erregt und scharf. »Verzichten Sie auf Ihr widerwärtiges Theater! Ich hätte große Lust, wieder zu gehen …«
»Es hindert Sie niemand daran, Herr Kollege«, sagte Dr. Hambach ernst. »Ich frage mich nur, was Sie daran hindert, Corinna Doerinck ernst zu nehmen.«
»Die Vernunft!«
»Das ist alles?« Es klang – zugegeben – ein wenig hämisch, aber Willbreit hatte sich an diesem Tag schon soviel anhören müssen, daß Hambachs Gerede für ihn kein Anlaß mehr war, sich beleidigt zu fühlen. Er hatte sich daran gewöhnt, daß viele ihn für einen überalterten, vorgestrigen Landarzt hielten, der noch grüne Salbe verschreibt für alles, was man beschmieren kann. Ein liebenswerter Trottel, den seine Bäuerlein liebten, wenn er sagte: »Bei der letzten Blutwurst hast du aber am Speck gespart, du Geizkragen!« Und der den alten Weiblein auf den faltigen Arsch klopfte und ausrief: »Hallo! Vor fünfzig Jahren hätten wir uns begegnen müssen, Alma!« Dann lachten sie und waren schon halb gesund. In der Medizin ist vieles möglich …
»Ich merke schon«, sagte Willbreit steif, »daß heute wohl kaum ein nützliches Gespräch zustande kommt. Ich wäre auch nicht zu Ihnen gekommen, Herr Doerinck, wenn die Röntgenbilder des Kollegen …«
»… Dr. Meersmann aus Billerbeck …«
»… ja, Meersmann … wenn seine Bilder mir nicht völlig unklar wären. Sie zeigen einen Darmabschnitt, der so nie und nimmer sein kann!«
»Einen Scheißdreck kümmern mich die Röntgenplatten!« rief Roemer dröhnend. »Ihre Frau, Herr Doerinck, ist gesund. Das haben wir nun gesehen, auch wenn es mein Freund Willbreit nicht glaubt. Deshalb nicht glaubt, weil sonst sein akademisches Wissen ein Loch bekommt. Es ist da etwas geschehen, das schulmedizinisch nicht sein darf. Ein Krebs hat sich davongemacht, ist ausgetrocknet durch bloßes Händestreicheln. Himmel, Arsch und Zwirn – wir haben es klar und deutlich im Bild, vorbei und basta! Aber ich stehe hier, und man sagt mir ins Gesicht: In einem Jahr bist du Wurmzüchter! – Das ist jetzt wichtig, nur das und sonst gar nichts. Ich habe ein verdammtes Recht, das erklärt zu bekommen.«
»Gehen wir!« sagte Willbreit laut.
»Nein!« Roemer lehnte sich an die Dielenwand. »Ich schlage hier Wurzeln, bis man mir erklärt, warum ich auf der Schippe liege.«
»Dann gehe ich allein.«
»Zu Fuß nach Münster? Bitte! Draußen steht mein Wagen … Mein Wagen! Der fährt nur, wenn ich den Schlüssel rumdrehe.«
»Wir sollten doch ins Zimmer gehen«, sagte Dr. Hambach stockend. »Wer Ljudmilas Birnenkuchen kennt …«
»Ich platze!« Roemer schnaufte gewaltig, stieß sich von der Wand ab, riß die nächste Tür auf und hatte Glück: Es war das Wohnzimmer. Ljudmila saß auf der Couch, die Hände im Schoß. Ein grusinisches besticktes Kleid trug sie, hatte die schwarzen Haare hochgesteckt und sich geschminkt. Einer fremdländischen, wertvollen Puppe glich sie, einem Geschöpf aus Coppelia. Roemer blieb in der Tür stehen, machte eine Verbeugung und stammelte eine Entschuldigung. Das ist sie also, dachte er. Phänomenal! Sie ist einundsechzig, ich bin vierzig – sie könnte meine Mutter sein, mit Leichtigkeit. Du lieber Himmel, so eine Schönheit als Mutter! Seine Verlegenheit wuchs noch mehr, er trat ins Zimmer und verbeugte sich erneut.
»Roemer, mein Name«, sagte er. »Gnädige Frau …«
»Haben Sie eben so gebrüllt?« fragte Ljudmila. Ihr Lächeln war entwaffnend. Roemer holte pfeifend Luft und nickte schwer.
»Ja. Ihre Tochter war so gütig, mir noch ein Jahr Leben zugeben …«
»Wenn sie es sagt, wird es wohl stimmen«, sagte Ljudmila mit einer
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