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Die Strasse der Oelsardinen

Titel: Die Strasse der Oelsardinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Steinbeck
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Richard Frost.
»Ich fand es schon immer merkwürdig«, sagte Doc, »daß alles, was wir am Menschen bewundern, Edelmut, Güte, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Anstand, Mitgefühl, Herz, in unserem Gesellschaftssystem nur zu Fehlschlägen führt. Während alle Eigenschaften, die wir angeblich verachten, Härte, Raffsucht, Selbstsucht und Charakterlosigkeit, zum Erfolg beitragen. Jenen guten Eigenschaften gilt die Bewunderung der Menschen, doch was sie mit Vorliebe produzieren, sind diese grundschlechten.«
»Wenn einer Hunger hat, vergeht ihm die Lust, gut zu sein«, sagte Richard Frost, und Doc widersprach: »Es handelt sich hier nicht um Hunger. Der Verkauf der Seelen, um die ganze Welt zu gewinnen , erfolgt heutzutage ohne äußeren Druck und einmütig - aber gottlob nicht ganz. Menschen wie Mack und die Jungens gibt es überall in der ganzen Welt. Ich habe sie auf den Aleuten erlebt und bei einem Eiskremverkäufer in Mexiko. Die Geschichte von dem Fest, das sie mir geben wollten, kennst du. Es ging schief, gewiß. Aber denke nur: Sie haben mir ein Fest geben wollen, und das kam ihnen aus innerstem Herzen. - Horch! Die Kapelle! Sie kommen.« Er füllte hurtig die Gläser, und sie traten zum Fenster.
Niedergeschlagen saßen Mack und die Jungens auf ihrem Balken und sahen zum Laboratorium hinüber. Von der Lighthouse Avenue tönten die Klänge der Stadtmusik; ihr Widerhall scholl von den Häusermauern zurück. Schon kam der Wagen des Bürgermeisters, mit flatternden Bändern geschmückt, um die Ecke, der Bannerherold auf einem Schimmel und die Kapelle hinter ihm drein, gefolgt von den Soldaten, den Elchen, den Tempelund Columbusrittern. Dick und Doc beugten sich weit zum Fenster hinaus und wandten kaum einen Blick von den fünf Burschen auf ihrem Balken.
Und nicht einer von den fünfen wandte sich um. Keiner reckte den Hals. Der Zug zog vorüber. Sie rührten sich nicht.
Doc leerte sein Glas, schnickte mit Daumen und Zeigefinger und rief: »Es geht doch nichts über den ersten Schluck Bier!«
Richard war schon bei der Tür. »Welche Sorte trinkst du am liebsten?«
»Keine lieber als die«, gab Doc an, und sein Blick ruhte lächelnd auf Mack und den Jungens.
Es sagt sich so leicht: »Die Zeit heilt alles... Auch dies wird vorübergehen... Der Mensch vergißt!«, wenn es dich selber im Grunde nicht angeht. Steckst du jedoch mitten drin, so fällt es der Zeit gar nicht ein, etwas zu heilen oder vorübergehen zu lassen, und die Menschen vergessen nichts und lassen dich nichts vergessen. Du steckst mitten in etwas drin, das sich nicht ändern will. Doc wußte nichts von dem Kummer, nichts von der nagenden Selbstkritik im Palace Hotel und Grillroom. Er hätte sonst sicher etwas dagegen getan. Mack aber und seine Gefährten ahnten nicht, wie gut ihnen Doc gesinnt war; sonst hätten sie sicherlich die Köpfe so hoch wie nur je getragen.
Es war eine scheußliche Zeit. Das Unglück suchte den leeren Platz heim. Sam Malloy lebte in Unfrieden mit seiner Gattin. Sie heulte die ganze Zeit, und dies hörte sich infolge des Echos im Kessel nicht anders an, als weine ein Mensch unter Wasser. Und es war, als seien an allem, was Übles geschah, nur Mack und die Jungens schuld. Der nette Nachtwächter im Restaurant Flotte Flagge setzte einen Besoffenen an die Luft. Doch griff er diesmal so kräftig zu, daß des Betrunkenen Steißbein dabei in Trümmer ging. Um die juristische Seite dieses Hinauswurfes zu bereinigen, mußte Alfred dreimal nach Salinas vor Gericht, und das mißfiel ihm.
Obendrein verlangte um diese Zeit ein Verband sittenstrenger Klatschbasen von Monterey, es müßten zum Schutze der männlichen Jugend der USA alle Lasterhöhlen polizeilich geschlossen werden. Zwar erfolgten derartige Aktionen jedes Jahr in der toten Saison zwischen dem 4. Juli und der Eröffnung der Landesmesse, während welcher Zeit Dora ihr Haus ohnedies auf acht Tage schloß; schließlich mußten die Mädchen auch einmal verschnaufen, und allerhand Instandsetzungsarbeiten mußten ausgeführt werden. In diesem Jahr jedoch veranstalteten die Sittenstrengen einen wahren Kreuzzug. Sie lechzten nach einem Skalp.
Es ging diesmal so weit, daß man ihnen erst sagen mußte, wer tatsächlich der Besitzer der Lasterhöhle war und wie hoch die Mieten und daß er durch Abstellung der sündigen Praxis wirtschaftlich nicht in Bedrängnis gerate. Aber für Dora wuchs sich das weibliche Tugendverlangen beinahe zu einer ernsten Gefahr aus. Und nicht nur für sie.

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