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Die Strasse der Oelsardinen

Titel: Die Strasse der Oelsardinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Steinbeck
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sie kaum den Boden zu berühren. Wenn Mary erregt war, und das war sie fast immer, schimmerte ihr Gesicht in rötlichem Gold. Ihre Urururururgroßmutter war als Hexe verbrannt worden.
Was Mary Talbot mehr als alles in der Welt liebte, waren Partys, sei es, daß sie selbst eine gab, sei es, daß sie eine solche besuchte. Da jedoch Tom, ihr Gatte, zu wenig verdiente, stiftete sie meist andere Leute an, eine Party zu veranstalten. Sie rief eine ihrer Freundinnen an und sagte einfach: »Du! Es wäre an der Zeit, daß du wieder einmal eine Party gibst.«
Mary hatte im Jahr durchschnittlich sechsmal Geburtstag. Sie arrangierte Kostümfeste, Ausflüge und improvisierte sogenannte Überraschungspartys. Der Weihnachtsabend war bei ihr immer besonders anregend. Sie war nach Partys verrückt und steckte mit ihrer Schwärmerei allmählich auch ihren Gatten an.
Wenn Tom bei der Arbeit war und Mary allein zu Haus, veranstaltete sie manchmal Teepartys für die Katzen der Nachbarschaft. Ein Schemel, mit Puppengeschirr gedeckt, war der Teetisch. Katzen gab es genug, und sie führte mit ihnen lange und ausführliche Gespräche. Es war eine Art parodistischer Tändelei und bereitete ihr großen Genuß. Es täuschte sie über die Tatsache hinweg, daß sie nichts Hübsches zum Anziehen hatte und im Hause Talbot kein Geld war. Die jungen Leute lebten »vis-àvis de rien«, aber wenn alle Stricke gerissen waren, zauberte Mary aus dem gähnenden Nichts eine Party hervor.
Sie war darin ein Genie. Sie konnte mit ihrer Fröhlichkeit ein ganzes Haus auf den Kopf stellen und handhabte diese Begabung als Waffe gegen die Niedergeschlagenheit, die ihren Tom bedrängte. Sie hielt es für ihre Pflicht, ihm die Verzagtheit vom Leibe zu halten: »Das weiß doch jeder, daß du noch einmal ganz, ganz großen Erfolg hast!« Sie selbst hatte jetzt schon Erfolge, denn sie jagte den Trübsinn zum Hause hinaus. Aber er drang immer von neuem ein und quälte Tom, daß er stundenlang vor sich hinbrütete, während sie ihre lustigen Einfälle aufsteigen ließ.
Als wieder einmal der Erste war und die vielen kleinen Rechnungen hereinflatterten und die Miete noch nicht bezahlt war und von Collier's ein Manuskript Toms und von The New Yorker seine Cartoons zurückgeschickt worden waren und er von einer Brustfellentzündung schwer geplagt wurde, zog er sich in das gemeinsame Schlafzimmer zurück und legte sich aufs Bett.
Sachte trat Mary ein. Die blaugraue Farbe der Trübsal war durch das Schlüsselloch und die Spalte zwischen Schwelle und Tür bis in den Garten gesickert. Mary trug ein Sträußlein doldenblütiger Schleifenblumen in einer Spitzenmanschette. »Da, riech einmal!« und hielt ihm das Sträußlein vor die Nase.
Stumm sog er den Duft ein.
»Weißt du, was heut für ein Tag ist?« lächelte sie vielverheißend und hatte selbst keine Ahnung; sie wollte nur, es solle ein lichter Tag werden.
Aber Tom antwortete: »Wir wollen uns doch nichts vormachen, Mary. Wir sind erledigt. Wir gehen unter.«
»Wir gehen auf!« rief Mary. »Weißt du nicht, daß wir Zauberer sind? Von jeher! Weißt du nicht, wie du zehn Dollar in dem Bibliotheksbuch gefunden hast? Und wie uns dein Vetter fünf Dollar geschickt hat? Uns kann nichts geschehen.«
»Ich kann mich nicht aus dieser verfluchten Gesellschaftsordnung herausschwätzen«, sagte Tom bedrückt, »ich habe es satt, immer zu tun, als ob. Ich brauche endlich einmal etwas Greifbares, ein einziges Mal!«
»Wie wär's mit einer kleinen Party heut abend?«
»Wovon sollen wir eine Party veranstalten? Willst du aus dem Stilleben in der Illustrierten den gekochten Schinken herausschneiden und unseren Gästen vorsetzen? Das Getändel ist mir verleidet. Ich finde es nicht mehr komisch, nur traurig.«
»Die kleine Party heut abend trau' ich mir zu«, beharrte Mary, »mit Leichtigkeit, Tom! Jeder kann kommen, so wie er geht und steht. Kein Frackzwang. Heut ist doch der Gründungstag des Internationalen Blütenbundes - hast du das ganz vergessen?«
»Es hat keinen Zweck«, sagte der Mann gequält, »ich kann mich zu so etwas nicht mehr aufschwingen. Geh lieber hinaus, schließ die Tür, laß mich allein, ich halt's nicht mehr aus!«
Sie sah ihm tief in die Augen, erkannte, es war sein Ernst, ging still aus dem Zimmer, schloß die Tür hinter sich, und Tom verbarg sein Gesicht in den Armen.
Er hörte sie im Nebenzimmer herumrascheln. Sie dekorierte die Tür mit altem Christbaumschmuck, Glaskugeln, Lametta, und machte ein Schild, darauf

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