Die Strasse des Horus
befohlen zu packen. Er war von der Lobeshymne geweckt worden, hatte wie gewohnt gemeinsam mit Aahmes-nofretari Audienz im Empfangssaal abgehalten und die Fortschritte Sobek-nachts mit dem alten Palast überprüft. Sie hatte ihre Gemächer erst zur Audienz verlassen und hatte offensichtlich zu viel zu tun, um die Geschäftigkeit im Haus zu bemerken oder das Leben und Treiben am Fluss hinter den Toren zu hören, und dafür war Ahmose unendlich dankbar. Mittags speisten sie zusammen, und danach hielt sie Mittagsruhe.
Ahmose selbst ging ins Arbeitszimmer. Er musste sich noch um viele Einzelheiten kümmern und war gerade fertig, als die Tür aufging und seine Frau unangemeldet hereinrauschte. Sie war sehr blass, aber ihre mit Kohl umrandeten Augen beschuldigten ihn der Feigheit. »Hinaus!«, fuhr sie den Unterschreiber an. Mit einem entsetzten Blick in ihre Richtung wartete der Mann nicht erst darauf, dass Ahmose ihn entließ, sondern verzog sich mit seiner Palette durch die Tür. Aahmes-nofretari trat danach und schloss sie mit einer einzigen heftigen Bewegung. »Du hast mich angelogen«, sagte sie ruhig, doch ihrer künstlichen Ruhe war unterschwellig eine so wilde Wut anzuhören, dass Ahmose fast vor ihr zurückgewichen wäre.
»Nein, ich habe nicht gelogen«, sagte er sachlich. »Ehe Abana mit seiner Nachricht aus Auaris gekommen ist, wollte ich wirklich gern bei dir bleiben, bis das Kind geboren ist. Aber sie hat alles verändert.«
»Sie hat nichts an dem verändert, was du mich hast glauben lassen«, unterbrach sie ihn eisig. »Was hast du erst vor ein paar Tagen zu mir gesagt? ›Ich bin am ersten Tybi, wenn wir das Krönungsfest des Horus begehen, an deiner Seite.‹ Vielleicht war das an Apophis gerichtet. Oder du hast einfach so dahergeredet.« Er streckte die Hand aus, wollte irgendetwas tun, um den übergroßen Ausbruch von Schmerz zu verhindern, den er verdiente, wollte sie unbedingt zum Schweigen bringen.
»Aahmes-nofretari, du hast Recht, und es tut mir Leid«, sagte er. »Aber versuche doch zu verstehen, warum…«
»Warum was? Warum du mich zum Narren gehalten hast? Warum jeder im Haus gewusst hat, dass du morgen wieder aufbrichst und es niemand gewagt hat, mir das zu sagen? Warum es dir an Mut, ganz zu schweigen an Mitgefühl fehlt, sodass du mir deinen Aufbruch verschwiegen hast? Nicht die Gründe für deinen Weggang haben mich tief getroffen«, schrie sie, »sondern dass du lügst. Du lügst!« Sie trat unbeholfen näher, hatte einen Arm über ihren Leib gelegt, der andere griff nach der vergoldeten Stuhllehne. »Ahmose-onch ist in mein Schlafgemach gestürzt und wollte wissen, ob er mit dir ziehen kann«, fuhr sie wütend fort. »Da habe ich es erfahren. Du hast mich letzte Nacht geliebt, und noch auf meinem Lager hast du gelogen und gelogen!« Sie verstummte und holte Luft, und er kam näher, doch sie schreckte zurück. »Ich weiß, was los ist«, sagte sie mit rauer Stimme. »Meine Kinder sind schwach. Meine Kinder sterben. Du willst nicht dabei sein und das zarte Wesen sehen, das mein Schoß gebiert, und es ist dir einerlei, dass auch ich schreckliche Angst habe, dass ich dich an meiner Seite brauche. Du möchtest dir eine andere Frau nehmen.«
Er blickte sie entgeistert an, wusste, dass sie seine wundeste Stelle getroffen, die schlimmste Wahrheit jedoch nicht erkannt hatte, dass er sie nämlich von ganzem Herzen liebte und sich nur dann eine zweite Frau nehmen würde, wenn es für die Nachfolge unbedingt erforderlich wurde. Nichts, was ich sage, kann ihren Schmerz lindern, dachte er. Das habe ich mir selbst zuzuschreiben. »Ich bin tatsächlich ein Feigling«, versuchte er es. »Ich habe tatsächlich davor zurückgescheut, dir zu sagen, dass ich auf der Stelle nach Norden muss. Lass mich dir erklären.«
»Erklären ist ein so leidenschaftsloses Wort«, sagte sie bitter. »So kalt, so verflucht vernünftig. Nein, Ahmose. Beleidige mich nicht mit deinen Erklärungen. Es gibt Sätze, die können dem Skorpion, der mich in die Seele gestochen hat, nichts anhaben.«
Wie gern hätte er ihr sein Herz ausgeschüttet: die Vorhersage des Sehers, sein eigenes schreckliches Gefühl, dass alles umsonst war, sein heftiges Verlangen, von ihr fortzulaufen, weil er sie nicht vor dem Kommenden beschützen konnte, sein Gefühl, dass er so bald wie möglich vor den Mauern von Auaris stehen musste, sonst war alles verloren. Doch seine Gedanken purzelten so durcheinander, dass er nichts davon herausbrachte.
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