Die Strasse des Horus
Kasten. Sobek-chu verbeugte sich knapp und sagte ohne Vorrede: »Der Horusthron ist verschwunden, Majestät. Desgleichen die königlichen Insignien. Wir haben auch nach ihnen gesucht, jedoch nichts gefunden.« Tani trat vor.
»Ihr sucht vergebens«, sagte sie. »Mein Gemahl hat Thron und Insignien in einem Karren verborgen mitgenommen. Eine kleine Rache, denke ich.«
»Eine kleine Rache«, blaffte Ahmose. »Der Sitz des Göttlichen und die Symbole seiner Macht und Gnade? Was, in Amuns Namen, ist in dich gefahren, Tani?« Er zwang sich, gelassen zu bleiben. »General, Fürst, meine Schwester, Königin Tautha und Apophis’ Gemahlin.« Sie machten große Augen und warfen ihm gleich darauf einen mitleidigen Blick zu. Ihm war übel, und er kam sich bis ins Mark beschmutzt vor. »Anchmahor, was hast du da drin?«, erkundigte er sich mit zusammengebissenen Zähnen. Anchmahor reichte ihm den Kasten.
»Das lag auf der Estrade im großen Empfangssaal, wo vermutlich auch der Horusthron gestanden hat.« Ahmose hob den Deckel.
Eine runde Kopfbedeckung aus gestärktem dunkelblauem Leinen, die über beiden Ohren ausgestellt und mit kleinen goldenen Scheiben bedeckt war. Hinten hingen zwei Bänder herab, auch sie blau. Mitten auf dem stützenden Goldreif, der auf der Stirn ruhte, war eine ausgesparte Stelle. Ahmose betastete sie behutsam. »Was ist das?«, fragte er.
»Eine Setiu-Krone«, antwortete Tani. »Die hat Apophis oft getragen. Er hat sie dir als Anerkennung deines Sieges zurückgelassen.« Ahmose warf sie auf der Stelle wieder in den Kasten. Liebend gern hätte er sie zerrissen und ihre Fetzen mit den Füßen zertreten, wie er es mit Apophis’ Siegel gemacht hatte, doch ihm war klar, dass er sich nicht gehen lassen durfte, auch wenn seine Geduld an einem dünnen Faden hing. Anderenfalls würde der Wunsch, sinnlos zu töten, überhand nehmen.
»Das ist keine Anerkennung«, sagte er rau. »Das ist eine Beleidigung. Er nimmt Hedjet, Deschret, Heka und Nechacha, Ägyptens heiligste königliche Besitztümer, mit und ersetzt sie durch eine gotteslästerliche Setiu-Krone. Vermutlich hat er, wann immer es ihm beliebte, die heilige Uräusschlange in der ausgesparten Stelle angebracht, doch die gehört selbstverständlich an die Doppelkrone. Und die hat er nicht dagelassen.« Er warf Anchmahor den Kasten zu. »Bringe das in mein Zelt und Königin Tautha desgleichen«, befahl er. »Stelle ein paar Getreue zu ihrer Bewachung ab. Sie darf das Zelt nicht verlassen. Sag Achtoi, er soll ihr ein Feldbett aufstellen.« Tani streckte zaghaft die Hand nach seinem Arm aus, doch die schüttelte er ab. »Ich werde ihn finden, und wenn es den Rest meines Lebens dauert«, sagte er verbittert. »Dieser Dieb muss die Schätze, die er gestohlen hat, zurückgeben, bevor ich ihn bestrafe.« Anchmahor zögerte und verbeugte sich, doch ehe er Tani berühren konnte, schob sie sich an ihm vorbei, und er und seine Männer folgten ihr in die Dunkelheit.
»Wir sind in der Nähe des Thronsaals, Majestät«, sagte Sobek-Chu. »Komm und ruhe dich ein Weilchen aus.«
Ein paar Soldaten mit Fackeln in der Hand wanderten im Saal herum, als Ahmose eintrat, und ihre Stimmen hallten von der unsichtbaren Decke hoch oben wider. Doch Ahmoses Blick wurde zu der kahlen Estrade und der Säulenreihe gezogen, hinter der man den Himmel sehen konnte. Die Sterne verblassten allmählich. Er ging zu den Stufen und setzte sich, lockerte die Muskeln. »Ist das eine Nacht gewesen, Majestät!«, meinte Sobek-chu. »Ich kann es noch immer nicht fassen, dass die Belagerung vorbei ist.«
»Ich hatte gehofft, alles wäre vorbei, alles wäre fein säuberlich geordnet«, murmelte Ahmose. »Aber dem ist nicht so. Muss ich tatsächlich noch in Rethennu einfallen, damit diese ganze unselige Geschichte ein Ende hat, Sobek-chu? Was will Amun? Wenn ich das doch wüsste!«
Er hörte den Aufruhr, ehe er den Grund dafür sah, erregtes Stimmengewirr, das näher kam und schließlich mit hell brennenden Fackeln durch die Tür stürzte. Abana und Zaa und Bootsleute, die einen Mann und drei Frauen umringten.
»Majestät, ich habe Neuigkeiten!«, rief Abana, noch ehe er bei Ahmose war und seinen Fußfall machen konnte. »Diese Setius sind meine Gefangenen!« Ahmose erinnerte sich an seinen Befehl, alle Setius, die noch in der Nähe der Stadt aufgegriffen wurden, zurückzuhalten, doch ein Blick zeigte ihm, dass der Mann mit dem unordentlichen Bart und der verdrossenen Miene nicht Apophis
Weitere Kostenlose Bücher