Die Strasse des Horus
schrecklich in Ramose verliebt, habe meine Familie vermisst, und als ich gehört habe, dass Kamose seinerseits mit einem Aufstand angefangen hat, da war ich mir sicher, dass Apophis mich für seinen Ungehorsam hinrichten würde. Aber ich hatte mich geirrt.« Sie trank wieder einen Schluck. »Er war sanft und freundlich. Er hat sich mit mir unterhalten, hat mir Geschenke gemacht, hat mir gesagt, dass er die Taos für ihren Mut bewundert, auch wenn er gezwungen war, wegen Hochverrats gegen sie vorzugehen. Er hat gewusst, dass ich durcheinander war. Er war so geduldig.« Sie rieb sich die nassen Wangen, dann starrte sie auf ihre Hände, sah jedoch Ahmose nicht an. »Ich habe mich nicht in ihn verliebt wie in Ramose«, fuhr sie leise fort. »Jene Liebe war heftig und verzehrend, und als sie gestorben war, wie es mit der ersten großen Liebe oft geschieht, hat sie ein Echo hinterlassen, das mich heute noch ein wenig schmerzt.« Sie lächelte matt. »Meine Liebe zu Apophis ist allmählich gewachsen. Es ist ein starkes und dauerhaftes Gefühl, Ahmose, und ich entschuldige mich nicht dafür.«
»Wir hatten erwartet, dass das Kind, das uns verlassen hat, als Kind zurückkommt«, erwiderte Ahmose hölzern. »Das war eine grausame und unwirkliche Hoffnung. Vielleicht trifft dich keine Schuld. Wir haben dich geliebt und zugleich gehasst, seit wir erfuhren, dass du unseren Feind geheiratet hast, aber ich weiß jetzt, dass du unseren Hass nicht verdienst. Du hast es geschafft, hier nicht nur zu überleben, und das macht mich stolz auf dich.« Sie wandte sich ihm zu, und er nahm ihr Gesicht in die Hände. »Ramose weiß es noch nicht, aber er liebt dich auch nicht mehr«, fuhr er behutsam fort. »Seine Liebe ist zu einem beständigen Trugbild geworden, weil er damit die furchtbaren Verluste, die er erdulden musste, geistig gesund überleben konnte. Jetzt verspürt er vielleicht zum ersten Mal, seit Vater ihm erlaubt hat, offiziell um dich zu werben, echte Freiheit. Und du, Tani, bist auch frei. Du kannst nach Hause fahren.« Sie entzog sich ihm.
»Nein«, sagte sie jetzt entschiedener. »Nein, Ahmose. Ich möchte Waset nicht wieder sehen. Ich möchte zu meinem Mann.«
»Wo ist er?«
»Ich habe schon gesagt, dass ich dir das nicht verraten kann. Ich habe es geschworen.« Ahmose stand auf.
»Tani, ich muss ihn finden, das wirst du doch einsehen!«, hielt er dagegen. »Ich kann ihn nicht verschonen, sonst hebt er ein neues Heer aus und versucht, das Delta zurückzuerobern! Ich werde nie wieder ruhig schlafen, wenn er ungehindert in Rethennu umherstreifen darf!« Ihre Miene wurde störrisch. Das kannte Ahmose noch von früher.
»Was würdest du denken, wenn Aahmes-nofretari dich auf diese Weise verraten würde?«, fragte sie. »Und wenn sie obendrein geschworen hätte, es nicht zu tun.«
»Aber, Tani, dein Schweigen ist Verrat, siehst du das denn nicht ein?«, drängte er. »Apophis ist Ägyptens Feind, und wenn du ihm hilfst, wenn auch nur verkappt durch dein Schweigen, machst du dich des Hochverrats strafbar.«
»Dann lass mich hinrichten«, sagte sie fest. Sie stand jetzt auf und verschränkte die Arme. »Ich habe nicht nur mein Wort gegeben, sondern bei Amun geschworen. Das bindet. Breche ich den Schwur, werde ich vielleicht ungünstig gewogen, wenn mein Ka den Gerichtssaal betritt und vor der Waage steht.« Sie reckte trotzig das Kinn. »Mache mit mir, was du willst.«
»Du willst es mir nicht verraten, nicht wahr?«, sagte er. »Du liebst ihn wirklich.« Sie gab keine Antwort. Er hob die Schultern, eine Geste, die zeigte, dass er aufgab. »Allein kann ich dich nicht nach Rethennu laufen lassen, auch wenn ich dich beschattete«, sagte er mehr zu sich selbst. »Und hier bleiben, das geht auch nicht. Ich kann dich nur in mein Zelt bringen und bewachen lassen, damit du nicht fortläufst. Ach, Tani«, schloss er bitter. »Du würdest fortlaufen, ja?« Sie ließ den Kopf hängen. Ahmose überlegte einen Augenblick. »Heket«, befahl er der Dienerin. »Suche die Sachen deiner Herrin zusammen, ich schicke dann jemanden, der sie ins Lager bringt. Tani, du kommst mit mir.« Ohne Widerworte ging sie zu ihrem Umhang, hob ihn auf, legte ihn sich wieder um die Schultern und schritt zur Tür.
Tani führte ihn durch den leeren Palast. Nach einem Weilchen erspähte Ahmose vor sich Licht, und gleich darauf trat Tani zur Seite. Sobek-chu, Anchmahor und die Getreuen näherten sich in loderndem Fackelschein. Anchmahor trug einen großen
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