Die Strasse des Horus
Mund, die eingesunkenen Augen hatten keine Ähnlichkeit mehr mit dem König in golddurchwirktem Leinen und mit Geschmeide behangen, der auf den Thron gestiegen war, den er aus Auaris nach Waset mitgebracht und von dem er seine Familie abgeurteilt hatte. Das hier war kaum noch ein menschliches Wesen, eher ein verwundetes Tier.
Plötzlich schlug Apophis die Augen auf. Sein Atem ging schnell, doch er wollte unbedingt sprechen. Allmählich sammelte sich sein Blick auf Ahmose. Der ekelte sich zwar, bückte sich aber dennoch und sah, wie Tani am Rand seines Gesichtsfeldes die Hand ihres Mannes ergriff. »Ahmose Tao«, flüsterte Apophis. »Hätte ich an jenem Tag, als du in Waset vor mir gestanden hast, nur geahnt, welche Gewalten, welche Bitterkeit und verzweifelte Hartnäckigkeit ich mit der Verkündung meines Urteils gegen dich und deine Familie geweckt habe! Ich habe meine Blindheit teuer bezahlt.«
»Mein Vater und mein Bruder auch, Awoserra Apophis«, erwiderte Ahmose. »Und dazu viele, viele Ägypter. Es sind ein paar blutige und schreckliche Jahre gewesen.«
»Und jetzt bist du König. Ich habe beides, deinen Stolz und dein Beharrungsvermögen, unterschätzt. Meine Götter haben sich von mir abgewandt. Sie lassen mich wie ein verstoßenes Tier in einem Zelt sterben. Ich bin nach Scharuhen geflohen, aber ich bin wieder in Ägypten. Ich bin wieder in Ägypten.« Seine Stimme erstarb in Geschrei und Gemurmel, er verdrehte die Augen. Ahmose richtete sich auf.
»Gebt ihm Mohnsaft, wenn er ihn schlucken kann«, befahl er. Der Helfer stand mit einer Schüssel hinter ihm. Ahmose trat beiseite. Er glaubte, der Magen würde sich ihm vor Ekel umdrehen, wenn die Maden abgesucht wurden, hielt den Atem an und ging nach draußen.
Turi und seine Soldaten drängten sich noch immer schützend um die zweite Sänfte. Ahmose ging mit ausholendem Schritt darauf zu und holte im Gehen tief Luft, warme, reine Luft. Er nickte einmal, und die Vorhänge wurden aufgezogen. Der rote Schein der untergehenden Sonne fiel auf den Horusthron und machte sein Gold zu Feuer. Staunende Erregung lief durch die Schar der Männer, einige fielen auf die Knie. »Hebt ihn heraus«, befahl Ahmose. Ein paar Soldaten hoben ihn behutsam hoch, stellten ihn auf die Erde und traten hastig zurück. Auf seinem Sitz lagen zwei Kästen. Ahmose zögerte, doch dann nahm er seinen Mut zusammen und machte den ersten auf. Da lag die Doppelkrone vor ihm, die glatte, sich verjüngende weiße Hedjet Oberägyptens, der die rote Deschret daneben einen zarten rosigen Schimmer verlieh. Er berührte sie ehrfürchtig.
»Das ist die Pschent«, rutschte es Turi tief beeindruckt heraus. Ahmose konnte nicht antworten. Sein Herz war zu voll. Liebevoll öffnete er den zweiten Kasten. Im Schein von Res dunkelroter Pracht lagen Heka und Nechacha in Gold und Lapislazuli gefasst. Ahmose mochte kaum glauben, dass er sie da vor sich hatte, und liebkoste sie bewundernd mit einem Finger.
»Der Krummstab der Gnade und die Geißel der Gerechtigkeit«, sagte er leise. »Amun, ich danke dir für diese Gaben, auch wenn sie inmitten von Schmerz und Tod zu mir kommen. Ich flehe dich an, lass mich stets würdig sein, sie zu führen, und erinnere mich daran, dass ich zwar deine Inkarnation, aber zugleich Diener der Maat bin.«
Er setzte sich nicht auf den Thron. In die Versuchung kam er erst gar nicht. Doch gierig musterte er jede kunstvolle Einzelheit: Isis’ und Neiths Flügel aus Türkis und Lapislazuli auf dem Gold seiner Seiten, wo die Göttinnen die Arme hoben, um den König zu beschützen und zu umfangen, die Rückenlehne aus kunstvoll gepunztem Gold, das mit Jaspis und Karneol eingelegt war, die den Schemel des Wohlstands und den Stab der Ewigkeit darstellten, an denen viele Anchs hingen, das gewaltige Horusauge auf der Rückseite und die fauchenden Löwenmäuler, auf denen seine Hände ruhen würden. »Turi«, rief er mit vor Rührung belegter Stimme. »Lass das hier sicher verpacken und mit geziemender Bewachung nach Waset bringen. Komm zu mir, wenn du reisefertig bist. Ich diktiere dazu eine Rolle an die Königin.« Er dachte an den Raum im neuen Palast, wo der Thron auf einer fürstlichen Estrade stehen, wie seine Ausstrahlung von Macht und Pracht den eindrucksvollen Raum ausfüllen würde. Er konnte noch nicht recht glauben, dass alle Symbole seiner Königswürde da waren, auf der steinigen Erde einer fremdländischen Wüste standen und so viel Würde ausstrahlten, dass die armselige
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