Die Strasse des Horus
Verbrecher könnte neben ihm sitzen und seine Qualen mit ansehen, und ich liebe ihn. Seine Familie wird dich verfluchen, und ich verfluche dich auch.« Sie tastete nach der Zeltklappe.
»Bringe ihn sofort«, rief Ahmose ihr nach, als sie sich nach draußen schob. Er sprang auf und rannte hinter ihr her. Sie floh mit gelösten Zöpfen und nachschleifendem Gewand zur Stadt zurück. »Mesehti soll ihr mit dem Streitwagen nachsetzen und sie den Rest des Weges fahren«, befahl er Anchmahor. »Dann suche Turi. Er soll fünfzig Mann mitnehmen und vor dem Südtor warten. Sie wird mit Apophis kommen. Turi begleitet sie dann hierher zurück.«
»Majestät, wie hast du das hinbekommen?«, fragte Anchmahor.
»Das wirst du sehr bald sehen«, sagte Ahmose. Er hatte das Gefühl, dass auch er krank war. Gewissensbisse setzten ihm zu, doch er reckte die Schultern, und da verflogen sie. Tut mir Leid, Tani, sagte er im Stillen zu ihr. Es stimmt nicht, du bist mir nicht einerlei, aber diese gute Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen. Du bist weniger wichtig als die Symbole von Ägyptens Bestand. Achtoi stand in der Nähe, und Ahmose winkte ihn zu sich. »Lass neben meinem ein weiteres Zelt aufstellen und hole meinen Leibarzt«, befahl er. »Und sag Hekayib, er soll einen Krug Wein bringen. Dieser Tag kann sehr lang werden.«
Er lag auf seinem Lager und balancierte den Weinbecher auf seiner nackten Brust. Was war, wenn sich Apophis’ Söhne wehrten, wenn sich seine Hauptfrau Uzet auf ihren Gemahl warf und sich weigerte, ihn fortzulassen? Aber gewiss hatte der Mann solche Schmerzen, dass alle froh waren, wenn man sie linderte. Was das hinsichtlich Scharuhen bedeuten mochte, wusste er nicht. Aber es galt ihm gleichviel. Sein Herz hämmerte sprunghaft, und er spürte, dass sein Geschick rasch einem Höhepunkt zusteuerte. Der Gott hatte sich gerührt. Die Abfolge von Ereignissen, die er in Gang gesetzt hatte, näherte sich ihrem Ende.
Es wurde Abend, ehe er die Geräusche hörte, auf die er gewartet hatte. Ein Anschwellen erregten Stimmenlärms, das Rattern von Streitwagenrädern und das Getrampel vieler Füße zogen ihn eilends nach draußen. Zwei Sänften mit Vorhängen wurden abgesetzt, und Turi entließ seine neugierigen Männer. Tani stieg aus, und Mesehti ruckte an den Zügeln und brachte die Pferde in den Stall zurück. Tani sah Ahmose nicht an. Sie winkte ein paar Getreuen und zog den Vorhang der ersten Sänfte auf. Sofort stank es nach fauligem Fleisch. Einige Getreue schreckten zurück, als sie sich bückten und den Strohsack mit seiner stöhnenden Bürde heraushoben, doch Tani nicht. Ahmose auch nicht.
Der Arzt und sein Helfer warteten neben dem Feldbett. Sanft legten die Getreuen Apophis ab und entfernten sich. Tani ließ sich auf einen der Stühle fallen. Der Arzt zog das befleckte Laken zurück, und Ahmose entfuhr gegen seinen Willen ein Aufschrei. Apophis war nackt bis auf ein Lendentuch, das bereits mit seinen Exkrementen besudelt war. Ein Bein zitterte unkontrolliert. Das andere war eine fast unkenntliche Masse aus sickerndem Eiter. Maden wimmelten und krochen über Knochenstücke, die aus den eiternden Wunden herausragten, und in dem geschlossenen Raum stank es jetzt überwältigend. Nur der Arzt wirkte ungerührt. »Bring mir ein Becken«, fuhr er seinen Helfer an. »Als Erstes müssen wir die Schmarotzer absammeln. Während ich das tue, holst du heißes Wasser zum Waschen.« Er hatte den Mohnsaft schon bereit. »Majestät, gewiss ist dir klar, dass er binnen Stunden stirbt«, sagte er zu Tani. »Bei einem solchen Bruch ist nichts zu machen. Nicht einmal ägyptische Ärzte hätten ihn retten können. Ich kann ihm nur noch die Gnade der Bewusstlosigkeit schenken.« Sie schluckte und nickte mit schmerzverzerrter Miene.
Ahmose trat näher und versuchte, eine Ähnlichkeit zwischen dem gemarterten Mann auf den Kissen und dem Apophis seiner Erinnerung zu entdecken. Der Mann, dessen Bild sich ihm eingebrannt hatte, war höher gewachsen gewesen als die meisten Männer, hatte lange, wohlgeformte Beine und breite Schultern gehabt. Sein Hals war auch lang, fast zu lang, und darauf ein völlig unägyptischer Kopf mit ausgeprägten Wangenknochen, spitzem Kinn, braunen, zu eng stehenden Augen und einem Mund mit hängenden Mundwinkeln, die ihm einen mürrischen Ausdruck verliehen. Um die Augen hatte er Lachfältchen gehabt. Ahmose erinnerte sich lebhaft an ihn. Doch das fiebernasse Gesicht, der schmerzvoll verzogene
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