Die Strasse des Horus
ruhelos. Eine Reise stromauf wird mir gut tun.«
»Soll ich einen zweiten Ehemann für dich suchen, Aahotep?«, fragte ihr Sohn jählings, und jetzt lachte sie, laut und melodisch.
»Ihr Götter, nein!«, sagte sie erstickt. »Da müsstest du schon außerhalb der Grenzen Ägyptens suchen, schließlich bin ich eine Königin, Gemahlin eines Königs und Mutter eines anderen. Außerdem ist es spannend in Waset, bei all dem Wandel, und in Frieden zu schlafen ist an sich schon himmlisch.«
Ist es das?, überlegte Aahmes-nofretari, während sie das schöne Gesicht ihrer Mutter musterte. Du bist immer eine sinnliche Frau gewesen, Aahotep. Und das bis ins Mark. Man sieht es an deinem Gang, der Anmut deiner Bewegungen. Entbehrt dein Leib denn nichts?
Eine Woche später wurde Hent-ta-Hents kleiner Sarg über den Nil gebracht, und Amunmose leitete die Bestattungsriten. Es war ein schöner und klarer Tag. Am Himmel waren nur die ausgebreiteten Schwingen der Falken zu sehen, die sich gemächlich vom Aufwind tragen ließen. Man befolgte die vorgeschriebenen Rituale. Die Klageweiber jammerten und streuten sich Sand auf den Kopf. An Hent-ta-Hents bandagiertem Körper wurde die Mundöffnungszeremonie vollzogen, Amunmose berührte Mund, Augen und Ohren mit dem heiligen Messer und umwölkte sie mit Weihrauch.
Dennoch fand Aahmes-nofretari, die still neben ihrem Mann weinte, es irgendwie unaufrichtig, dass ein Kleinkind das ganze Drumherum einer Bestattung erhielt. Sie hat nicht lange genug gelebt, konnte die Anwesenden nicht mit ihrer Persönlichkeit beeindrucken, dachte Aahmes-nofretari. Nicht einmal mich und Ahmose schon gar nicht. Er weint nicht. Er steht da mit trockenen Augen. Niemand außer mir hat sie aufrichtig betrauert. Mein Körper hat sie ausgetragen. Meine Brüste haben sie genährt. Ich habe sie Tag für Tag an mich gedrückt, habe ihr Gesicht beobachtet, sie in den Schlaf gewiegt. Ich habe sie beruhigt, wenn sie geschrien hat. Und nur ich leide.
Nach dem vorgeschriebenen Fest entließ Ahmose die Trauergesellschaft, kehrte jedoch nicht zum Ostufer zurück. Stattdessen holte er sich einen Soldaten und einen Leibdiener mit Sonnenschirm und wanderte zwischen den anderen in der sandigen Ödnis verstreuten Grabmälern umher. Die in ihren Kummer versunkene Aahmes-nofretari, die sich ein Weilchen dem lärmenden Alltagsleben des Anwesens entziehen wollte, saß im Schutz eines Sonnensegels und sah ihn auftauchen und wieder verschwinden.
Als er zu guter Letzt den kleinen Vorhof seines Bruders betrat, löste sich eine graue Gestalt aus den Schatten der Steine und trabte zögernd auf ihn zu. Aahmes-nofretari sah, wie sich Ahmose hinhockte und dem Hund die Ohren kraulte, ehe er zu ihr zurückging. »Was hat Behek hier noch immer zu suchen?«, fragte er sie abrupt und blickte sie dabei nicht an.
»Zur Zeit von Kamoses Bestattung hat er den Weg über den Fluss gefunden«, antwortete Aahmes-nofretari. »Weißt du das nicht mehr? Es gibt genügend Boote, die zwischen den Ufern hin-und herfahren. Er hält sich an der Tür zu Kamoses Grabmal auf. Ich habe einen Diener angewiesen, ihm jeden Tag Futter und Wasser zu bringen, denn er rührt sich nicht vom Fleck.«
Ahmose äußerte dazu nichts. Er starrte weiter auf die schweigende, trockene Einöde, die eine eigenartige Verlassenheit ausstrahlte. Doch dann bewegte er sich und umfasste ihren Fuß mit der Hand.
»Hent-ta-Hent hat nichts erreicht, ist nichts geworden«, sagte er still. »Sie hatte keine Zeit, erwachsen zu werden. Und dennoch ruht sie hier unter denen, die gekämpft und gelitten, geliebt und gehasst haben, die betagt auf ihrem Lager gestorben sind oder in der Blüte ihres Lebens durch eine Speerspitze. Als wir unseren Vater und Kamose bestattet haben, geschah das in einer so turbulenten Zeit, dass ihr Tod schlicht Teil der großen Erschütterung zu sein schien. Selbst Si-Amuns Tod, der sich wegen seiner Schuldgefühle und Gewissensbisse umgebracht hat, weil er uns an Apophis verraten hatte, sogar sein Selbstmord gehörte in den Fluss unseres Lebens. Aber Hent-ta-Hent…« Er zog die Hand zurück und umfasste ihre Knie. »Ihr Tod kommt mir unnatürlich vor, unwirklich, grotesk, er passt nicht in diese Zeit des Friedens und des neuen Wohlstands. Er passt auch nicht zum normalen An-und Abschwellen des Lebens, er fügt sich nicht ein wie die anderen Todesfälle, die wir hinnehmen mussten.« Er blickte kurz zu ihr hoch und dann beiseite. »Entschuldigung, Aahmes-nofretari, ich
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