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Die Straße nach Eden - The Other Eden

Titel: Die Straße nach Eden - The Other Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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Schnur, die von seinem Kragen hoch zum pechschwarzen Himmel verlief.
    Er zögerte, dann öffnete er sein Jackett. In der Mitte seiner Brust kam ein rotes, pulsierendes Herz zum Vorschein, das im Rhythmus der Musik schlug. Der goldene Faden wand sich wie ein durchscheinender Kokon darum. Voller Entsetzen wich ich einen Schritt zurück, und Alexander betrachtete mich mit derselben mitleidigen Nachsicht, die Mary mir gegenüber neuerdings an den Tag legte.
    »Es tut mir leid«, sagte er in die undurchdringliche Dunkelheit über uns starrend, »aber wir sind alle gebunden, der Tanz darf für niemanden unterbrochen werden.«

    Im nächsten Moment verzerrte sich sein Gesicht vor Angst und Schmerz. Die anderen Tänzer nahmen keine Notiz von ihm, auch dann nicht, als er vorwärtstaumelte, einen markerschütternden Schrei ausstieß und beide Hände gegen sein offen liegendes Herz presste. Dann sackte er wie eine weggeworfene Marionette leblos auf dem schwarzweiß gefliesten Boden zusammen. Das ausgefranste Ende der durchtrennten Schnur baumelte träge über ihm in der Luft.
    Ich warf mich über seine kalte, reglose Gestalt. Als ich bitterlich zu schluchzen begann, streifte etwas Weiches, Weißes meine Wange - der weite Rock seiner Tanzpartnerin. Als ich aufblickte, sah ich, dass es einer der Zwillinge war, aber ich wusste nicht, welcher. Obwohl ihr Kleid weiß war wie üblicherweise das von Elizabeth, glitzerte an ihrem Hals ein tiefroter Rubin.
    Sie betrachtete mich schweigend. In ihren Augen las ich Mitgefühl, doch ihr Gesicht verriet, dass sie vor irgendetwas auf der Hut war. »Er hat einen falschen Schritt getan«, sagte sie. »Du hättest ihn nicht retten können.« Dann wandte sie sich ab und verschwand in der Menge.
    »Warte!«, rief ich verzweifelt, kämpfte mich durch die Gästeschar und bemühte mich, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Als ich sie endlich einholte, stand sie Dorian gegenüber.
    »Du bist also gekommen, um dir einen Partner zu suchen«, sagte er zu ihr.
    »Nicht ihn!«, ertönte eine andere Stimme, ehe er antworten konnte. Sie gehörte dem anderen, in Rot gekleideten Zwilling, der einen Diamantanhänger trug. Doch alle drei hatten eines gemeinsam: die goldene Schnur, die sich von ihrer Brust zu der endlosen Weite über ihnen emporwand, und ich erschauerte bei dem Gedanken an die unter ihren Kleidern verborgenen rot zuckenden Herzen.
    »Du musst dich entscheiden«, mahnte Dorian.

    »Und dabei deinem freien Willen folgen«, fügte die Frau in Rot hinzu.
    Die weiß gekleidete Frau blickte von einem zum anderen, dann trat sie mit einem wehmütigen Lächeln auf ihre Schwester zu. Dorian stieß einen Wutschrei aus, stürzte sich auf sie, packte die beiden goldenen Schnüre und riss sie durch. Die Zwillinge sanken lautlos zu Boden, wo ihre Körper sich aufzulösen begannen, bis nur noch eine blassrosa Rose auf dem Marmor lag. Dorian starrte die Blume einen Moment lang an, dann zermalmte er sie unter seinem Absatz.
    Ehe ich mich fragen konnte, was dieser gewalttätige Akt zu bedeuten hatte, verschwand der Ballsaal, und ich stand in dem Garten mit der Flötistenstatue. Die kahlen Äste des Baumes hoben sich dunkel vom grauen Himmel ab. Trockenes Laub wehte über das gelbe Gras und sammelte sich in der Mulde im Boden, die einst ein Teich gewesen war.
    Von banger Beklommenheit erfüllt kniete ich mich an den Rand der Mulde, schob ein paar Blätter zur Seite und legte eine Eisschicht frei, unter der das weiße Gesicht eines der Zwillinge schimmerte. Ihre auf der Brust gefalteten Hände waren mit einer ausgefransten goldenen Kordel gefesselt. Über ihre Wange verlief eine dunkle Schnittwunde.
    Ich brachte es nicht über mich, dieses Gesicht, hinter dem sich so viele schreckliche Geheimnisse verbargen, noch länger anzuschauen. Ich versuchte, es wieder mit Laub zu bedecken, aber der Wind wehte die Blätter genauso schnell wieder fort, wie ich sie auf das Eis streute. Während ich mit wachsender Frustration mit dem Laub kämpfte, dröhnte plötzlich das Schlagwerk einer Uhr in meinen Ohren, wurde lauter und lauter, bis ich meinte, es keine Sekunde länger ertragen zu können, dann ertönte ein letzter ohrenbetäubender Gongschlag, und der Traum zerbarst.

    Ich fuhr in Schweiß gebadet hoch, als der letzte Ton der Standuhr, die vier Uhr geschlagen hatte, durch die stillen Flure Edens hallte. Während er langsam erstarb, hallten Dorians Abschiedsworte in meinem Kopf wider, vermischten sich dort mit Bildern aus

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