Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Straße nach Eden - The Other Eden

Titel: Die Straße nach Eden - The Other Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
Vom Netzwerk:
bist. Besser, ich wecke dich nicht mitten in der Nacht wieder auf. Ich komme morgen früh.«
    Damit war ich ganz und gar nicht einverstanden, aber ich brachte nicht die Kraft auf, ihm zu widersprechen. »Gut«, murmelte ich. »Und, Alexander - sei vorsichtig.«
    Er lächelte, beugte sich zu mir und küsste mich, dann schloss er die Tür leise hinter sich. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte ich mich entsetzlich alleine und verlassen und musste dem Drang widerstehen, ihm nachzulaufen und ihn anzuflehen, bei mir zu bleiben.
    Um mich abzulenken griff ich nach Eves Tagebuch, das zusammen mit dem meiner Mutter auf meinem Nachttisch lag, seit Mary und ich sie gefunden hatten. Ich las die Passage, in der sie den Ausbruch der Krankheit ihrer Mutter beschrieb, noch einmal gründlich durch, fand aber keinerlei Verweise auf Träume, geschweige denn auf die Albträume, von denen Dorian gesprochen hatte.
    Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, etwas in den Tagebüchern übersehen zu haben; das entscheidende Puzzleteil, das die anderen miteinander verbinden würde. Ich klappte das Buch aufs Geratewohl an irgendeiner Stelle auf und las, was Eve dort eingetragen hatte. Es war der Absatz, in dem sie Louis’ geplante Wandmalereien beschrieb:
    Er will die Geschichte des Sündenfalls in vier Bildern darstellen, aber er sagt, sie sollen nicht wie Kirchenfresken aussehen, ihm schwebt etwas Moderneres vor. Er will unseren Garten als Hintergrund und Lizzie und mich als Modelle benutzen … das muss man sich einmal vorstellen!
    Das muss man sich vorstellen - gute Idee, dachte ich grimmig. Etwas anderes konnte ich ja auch nicht tun.
    Ich legte das Buch beiseite und trank meinen Tee aus. Er schien meine überreizten Nerven tatsächlich beruhigt zu haben, denn zum ersten Mal seit Tagen spürte ich, wie meine Lider bleischwer wurden. Ich stellte den Becher auf den Nachttisch und schaltete die Lampe aus. Die Dunkelheit umgab mich wie ein schwarzer Mantel. Eine Zeitlang lag ich still da und lauschte dem leisen Summen der Insekten vor dem Fliegengitter und dem tiefen, hypnotischen Ticken der Standuhr im Korridor unter mir, dann wurden die Geräusche schwächer und schwächer, und ich sank in einen tiefen Schlaf.
     
    Durch einen milchigen Schleier vor meinen Augen blickte ich direkt in das Gesicht einer großen Steinfigur. Zuerst hielt ich sie für den Wasserspeier von Joyous Garde, doch dann lichtete sich der Nebel, der mich umgab, und ich erkannte, dass ich kein Monster vor mir hatte, sondern den steinernen Engel aus dem Bostoner Public Garden.
    Doch als ich mich umdrehte, sah ich, dass ich mich nicht im Public Garden befand, sondern in dem Rosengarten hinter dem Ballsaal des Hauses auf dem Hügel. Es war Abend, der Himmel war wolkenverhangen, die Luft kühl. Hinter den geschlossenen Glastüren hörte ich die gedämpften Klänge eines Streichquartetts, das einen mir unbekannten Walzer spielte; eine wehmütige und zugleich seltsam anrührende Melodie. Ich öffnete die mir am nächsten gelegene Tür und betrat den Saal.
    In dem großen Lüster brannten sämtliche Kerzen. Das herabtropfende Wachs verlieh ihm das Aussehen eines bizarren, von einer Kolonie hell glimmender Insekten bewohnten Bienenkorbes. In seinem diffusen Licht drehten sich nach der Mode des späten neunzehnten Jahrhunderts
gekleidete Paare zu der Musik des Streichquartetts. Irgendetwas stimmte mit diesen Menschen nicht, aber da ich in jenem halb benommenen Zustand gefangen war, der Träumen oft zu eigen ist - in dem man erkennt, dass die Dinge nicht so sind, wie sie sein sollten, aber nicht begreift, was eigentlich anders ist als sonst -, vermochte ich nicht zu sagen, warum sie mir so eigenartig erschienen.
    Dann blickte ich auf. Wo die prachtvoll bemalte Decke hätte sein sollen, klaffte jetzt eine bodenlose Leere, dunkel wie ein Nachthimmel ohne Mond und ohne Sterne. Dieser Finsternis entsprossen straff gespannte goldene Fäden, und als mein Blick an ihnen herunterwanderte, sah ich, dass jeder davon unter den Kleidern eines der Tänzer verschwand.
    Ich nahm all meinen Mut zusammen und berührte den Arm eines Mannes neben mir. Dieser gab seine Partnerin frei, die in einer Wolke weißer Gaze davonschwebte, und drehte sich zu mir um. Es war Alexander. Mühsam unterdrückte Furcht malte sich auf seinem Gesicht ab.
    »Wir dürfen nicht aufhören zu tanzen«, sagte er mit leiser, erstickter Stimme.
    »Sag mir nur, welche Funktion sie haben.« Ich deutete auf die dünne goldene

Weitere Kostenlose Bücher