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Die Straße nach Eden - The Other Eden

Titel: Die Straße nach Eden - The Other Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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sagte. Vermutlich merkte sie, was in mir vorging, und erriet auch den Grund dafür, denn sie sprudelte hastig hervor: »Ich hoffe, ich habe nichts getan, was dich in Aufregung versetzt hat, Eleanor.«
    »Worüber ich mich aufgeregt habe, hat nichts mit dir zu tun, Mary.«
    »Aber Dorian, und der Ball…«
    »Ich hätte es gar nicht so weit kommen lassen dürfen, sondern dir von Anfang an klar und deutlich sagen sollen, was ich von diesem Mann halte und dass ich nichts mit ihm zu schaffen haben will.«
    Die Erleichterung, die in ihren Augen aufflackerte, brachte die Zweifel, die Dr. Dunham an diesem Morgen in ihr gesät hatte, nur noch deutlicher zum Vorschein. Sie müssen sie ständig im Auge behalten, auch wenn sie einen vollkommen gesunden Eindruck macht. Ich fragte mich, ob Dorian den Arzt wohl bestochen hatte oder ob das alles nur ein Zufall war, der ihm außerordentlich gelegen kam.
    »Du hast wahrscheinlich nicht herausgefunden, warum die Bilder übertapeziert worden sind?«
    Mary schüttelte den Kopf. »Nein … obwohl, jetzt wo du es erwähnst, fällt mir etwas ein, was Dorian gesagt hat…«

    »Ja?«
    »Er sagte, du hättest diese Tapete nicht so übereilt herunterreißen sollen, weil es sich um eine limitierte Ausgabe von William Morris gehandelt hat. Er meinte, er hätte so eine Tapete erst einmal zuvor gesehen, und zwar in London.«
    Ich versuchte mich gerade zu entsinnen, wann William Morris angefangen hatte, Tapeten zu entwerfen, als Mary mir die Frage stellte, die ihr seit gestern Nacht unaufhörlich im Kopf herumgeistern musste. »Eleanor … woher wusstest du, dass sich hinter dieser Tapete Wandgemälde befinden?«
    »Intuition«, erwiderte ich nach einer kurzen Pause. »Au ßerdem hat die Tapete nicht hierher gepasst, und wenn sie noch so wertvoll ist.« Dann fügte ich hinzu: »Ich weiß, wie ich gestern auf dich gewirkt haben muss, Mary. Aber du kannst dir sicher vorstellen, was für einen Schock mir meine Entdeckung versetzt hat…«
    Sie antwortete eifriger, als mir lieb war: »Natürlich, das verstehe ich. Vor allem, da du dich doch gestern so elend gefühlt hast.«
    Ich wartete, aber sie sagte nichts mehr. Ihre Weigerung, das zu akzeptieren, was sie direkt vor ihrer Nase sah, brachte mich zur Weißglut, aber ich wusste, dass ich mich beherrschen musste, wenn ich mir nicht mein eigenes Grab schaufeln wollte. Also schützte ich erneut Müdigkeit vor und zog mich in mein Zimmer zurück.
    Die Wirkung des Schlafmittels war inzwischen vollständig verflogen und hatte eine eigenartige helle klare Leere in mir hinterlassen. Eine nervöse Unrast ergriff von mir Besitz, und da ich nicht wollte, dass Mary mich in meinem Zimmer auf und ab gehen hörte, griff ich nach dem zweiten Tagebuch meiner Mutter und blätterte in der Hoffnung, auf ein par Sätze über die Wandgemälde zu stoßen, die ich bislang übersehen hatte, darin herum.

    Doch was ich dort fand, ließ mein innerhalb der letzten Stunden mühsam wieder aufgebautes seelisches Gleichgewicht in tausend Splitter zerspringen. Das Foto glitt aus dem Buch heraus wie ein hässliches Geheimnis über unbedachte Lippen. Es war von ebenso schlechter Qualität wie die, die Eve in Eden gemacht hatte, war aber in Boston aufgenommen worden. Eine dicke Schneeschicht bedeckte den Boden, den Rasen und das Eis auf dem Teich des Public Garden. Zwei Personen saßen auf einer Bank. Die Kälte schien ihnen nichts auszumachen, sie sahen sich an, wie es nur Jungverliebte können: das Gesicht des Mädchens - eines der Zwillinge - strahlte unter der pelzverbrämten Kapuze vor freudiger Erregung, der Mann hatte den Kopf leicht abgewandt, als wäre es ihm unangenehm, fotografiert zu werden.
    Mit zitternden Fingern drehte ich das Foto um. Auf der Rückseite stand in Eves schwungvoller Handschrift: Elizabeth Fairfax und Alexander Rose, Januar 1898.
    Alexander Rose: der Vater, der meine Mutter mit einem kleinen Kind sitzen gelassen hatte; der Vater, dessen Namen ich nie gekannt hatte. Ich warf noch einen Blick auf das Bild, ehe sich meine Hand darum schloss. Ich konnte mir noch nicht einmal einreden, dass der junge Mann auf dem Foto meinem Geliebten nur zufällig etwas ähnlich sah, ich kannte dieses Lächeln und diesen bohrenden Blick besser als mein eigenes Gesicht.
    Eine Welle der Übelkeit stieg in mir auf und drohte mich zu überwältigen. Ich rannte auf die Galerie hinaus und starrte dort blicklos in das Dunkel. Die nicht zu leugnende ungeheuerliche Wahrheit würgte mich

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