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Die Straße nach Eden - The Other Eden

Titel: Die Straße nach Eden - The Other Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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verstohlen. In ihrem Gesicht regte sich nichts, ich konnte nicht ergründen, was sie zu diesem Vorschlag veranlasst haben mochte.
    »Sehr gerne sogar«, erwiderte ich und fügte dann nach kurzer Überlegung hinzu: »Wir können eigentlich jetzt gleich gehen.«
    Ohne den Blick von mir zu wenden nickte sie langsam. »Warum nicht, wenn du dir das schon zutraust.«
    Ich stieg vorsichtig aus dem Bett und streifte meinen rotseidenen
Morgenrock über. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als wir den Fuß der Treppe erreichten und in den Korridor traten. Meine Atemzüge schienen unnatürlich laut in meinen Ohren widerzuhallen. Mary ging voraus, um den Scheinwerfer einzuschalten, den jemand installiert hatte, sodass die Bilder hell erleuchtet waren, als ich mich zu ihnen umdrehte.
    Es waren insgesamt vier, so wie Eve es in ihrem Tagebuch beschrieben hatte. Sie füllten die sich fast vom Boden bis zur Decke erstreckenden Flächen zwischen den Stuckbegrenzungen aus, sodass der Maler den Figuren Lebensgröße hatte verleihen können. Ferner hatte Louis die Vorgaben illuminierter Buchseiten übernommen und den Rand eines jeden Bildes mit stilisierten Ranken und goldenen Schneckenverzierungen versehen, die mich an die Bücher in der Bibliothek des Hauses auf dem Hügel erinnerten.
    Das erste Gemälde zeigte eine morgendliche Szene in einem Garten mit einem blühenden, von Wasser umringten Apfelbaum in der Mitte. Einer der Zwillinge kniete vor dem Baum. Sie trug ein Gewand, das mehr als nur eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Hochzeitskleid vom Dachboden aufwies. Im Schoß hielt sie eine Fülle von blassrosa Rosen; ihr Gesicht strahlte vor purem Glück. Während ich das Bild betrachtete, stellte ich zum ersten Mal eine Verbindung mit dem Garten aus meinem Traum, dem wirklichen Garten mit dem verkohlten Baumstumpf und dem Familienwappen der Fontaines her.
    Derselbe Baum prangte auch, in helles Sonnenlicht getaucht und mit goldenen Äpfeln behangen, in der Mitte des nächsten Bildes. Ein Zwilling stand in einem rosafarbenen Kleid darunter, ihr Haar war mit Blütenblättern übersät. Sie hielt die Augen niedergeschlagen und das Gesicht halb von dem Mann abgewandt, der sich zu ihr beugte und ihr
mit einer langfingrigen Hand einen Apfel anbot. Trotz der verschlagenen Gerissenheit, die sich in seinen Zügen widerspiegelte, war die Ähnlichkeit mit Alexander nicht zu übersehen.
    Derselbe Garten bildete auch den Hintergrund des dritten Gemäldes, doch jetzt war das Kleid der Frau blau und die Blätter des Baumes schimmerten gelb. Sie saß unter dem Baum, die Schatten seiner Äste fielen wie bizarre Gitterstäbe über sie, und sie blickte mit verklärtem Gesicht auf ein in ihrem Schoß schlafendes Baby hinab, auf dessen Kopf sich schon eine Fülle goldener Locken kräuselte. Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Oberkörper und befasste mich mit dem letzten Bild.
    Am dunklen Himmel funkelten kalte Sterne, die Äste des Baumes waren kahl. Die abnehmende Mondsichel wurde von dem Wasserring zurückgeworfen. Irgendetwas stimmte mit diesem Spiegelbild nicht. Ich trat näher an das Bild heran, um es genauer zu inspizieren, und was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Bei der weißen Mondsichel handelte es sich in Wirklichkeit um das Profil eines von dunklem Haar umrahmten Frauengesichtes. Ihre Augen waren geschlossen. Eine Zeile aus einem Theaterstück, das ich in der Schule gelesen hatte, kam mir plötzlich in den Sinn: Bedeckt ihr Antlitz, vor meinen Augen flimmert es, sie starb so jung.
    Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich die Worte laut ausgesprochen hatte, bis Mary vorsichtig fragte: »Eleanor?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Entschuldige, Mary. Das Bild hat mich an ein Zitat erinnert, das ich einmal gelesen habe.« Ich drehte mich wieder um und entdeckte in der rechten unteren Ecke eine Signatur: L. Ducoeur, 1902-04 »Hat Alexander diese Bilder gesehen?«, erkundigte ich mich.

    »Ja«, erwiderte sie mit einem Unterton in der Stimme, der mir nicht gefiel.
    »Wo ist er eigentlich?«
    »Ich weiß es nicht, er hat nicht viel gesagt - nur gefragt, ob er sich das Auto ausborgen dürfte, um ins Dorf zu fahren. Er ist ziemlich überstürzt aufgebrochen. Ich fand das etwas merkwürdig.«
    Noch immer lag dieser seltsam erwartungsvolle Ausdruck auf ihrem Gesicht, aber ich hatte keine Ahnung, was sie von mir hören wollte, und auch wenig Lust, ihr erneut Anlass zu geben, an meinem Geisteszustand zu zweifeln, indem ich das Falsche

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