Die Straße nach Eden - The Other Eden
kurz vor einem merkwürdigen Laden mit Buntglasfenstern und einem steinernen Greif neben der offenen Tür stehen. Ein junger Mann mit dunklen, traurigen Augen, die mich an Alexander erinnerten, musterte mich von der Schwelle aus flüchtig und drehte dann das Türschild auf ›Geschlossen‹.
Inzwischen war mir klar geworden, dass ich nach irgendetwas suchte, doch ich wusste nicht, wonach. Als ich die Beacon Street erreichte, blickte ich kurz zu meiner Haustür hinüber, dann bog ich in den Park ab, wohl wissend, wie leichtsinnig ich handelte - eine alte Frau war für alle Gestalten der Nacht eine leichte Beute. Trotzdem verspürte ich plötzlich das überwältigende Bedürfnis, meinen Engel wiederzusehen, die Statue, die ich als Kind immer vom Fenster meines Zimmers aus betrachtet hatte, ich wusste, dass ich nicht schlafen könnte, wenn ich diesem Drang nicht nachgab.
Vorsichtig ging ich über das nasse Gras und die glitschigen Blätter zu der Ecke hinüber, in der er stand, jetzt von Bäumen, die in meiner Kindheit noch Schösslinge gewesen
waren, halb verdeckt. Von seinen Flügeln und den ausgestreckten Fingern tropfte Regen, seine niedergeschlagenen Augen waren dunkel. Ich versuchte, die Ehrfurcht wieder heraufzubeschwören, die sein Anblick einst immer in mir erweckt hatte, doch es gelang mir nicht. Endlich machte ich kehrt und trat den Heimweg an.
Am Ende geschah, was im Leben so oft geschieht - das, was ich suchte, fand zu mir. Tascha wartete auf mich, wie fast immer, wenn ich ohne sie ausging. Sie war nach ihrer Heirat aus dem Haus in der Beacon Street ausgezogen und hatte ihre Kinder in einem Vorort Bostons großgezogen. Seit dem Tod ihres Mannes lebte sie wieder bei mir. Jetzt erwartete sie mich an der Tür. Ihr kastanienbraunes Haar war schon lange vollständig ergraut, doch ihre Augen schimmerten noch immer strahlend blau, glänzten jetzt aber so verräterisch, als habe sie geweint.
»Das ist vorhin für dich abgegeben worden.« Sie reichte mir ein kleines Paket.
»Für die Postzustellung ist es doch schon viel zu spät«, wunderte ich mich.
»Ein Mann hat es gebracht. Er hat mir extra eingeschärft, es nur dir und niemandem sonst auszuhändigen.«
Ich betrachtete das Päckchen nachdenklich. Nur mein Name stand in Blockschrift darauf, sonst nichts. Ich öffnete es und schüttete den Inhalt auf den Tisch in der Halle, dann starrten sowohl Tascha als auch ich ihn stumm an.
Zuunterst lagen ein paar handbeschriebene Notenblätter, darauf ein kleiner roter Samtbeutel, eine getrocknete blassrosa Teerose, eine mit einem blauen Bändchen zusammengehaltene blonde Locke und ein kleines gerahmtes Foto eines lockenköpfigen Babys. Zuoberst lag ein mit meinem Namen versehener Umschlag, der einen Brief des Immobilienmaklers aus Louisiana enthielt. Er lautete:
Ms Rose,
da ich nicht weiß, wie ich Ihnen diese Neuigkeiten schonend beibringen soll, komme ich direkt zur Sache. Bei Ausschachtungsarbeiten in dem ehemaligen Garten hinter der Ruine von Louis Ducoeurs Haus stießen meine Arbeiter auf das Skelett einer jungen Frau.
Zuerst konnten die Gerichtsmediziner nur feststellen, dass sie um die Jahrhundertwende herum an einer schweren Kopfverletzung gestorben ist. Ihre Identität konnte nicht ermittelt werden. Weitere Grabungen förderten jedoch noch etwas anderes zu Tage, ironischerweise nur wenige Zentimeter von dem Grab entfernt - ein Metallkästchen, das die Gegenstände enthielt, die ich Ihnen mit diesem Brief schicke. Darunter befand sich auch eine Notiz einer gewissen Elizabeth Rose - Ihrer Mutter, wie ich hörte. Sie war an ›Eve‹ gerichtet und besagte nur, Elizabeth wisse, dass Eve ermordet worden sei, könne es aber nicht beweisen. Daher würde sie diese Dinge als Andenken an sie an einem Ort vergraben, den Eve besonders geliebt hatte.
Die Behörden haben den Leichnam und den Namen auf der Notiz mit dem Verschwinden einer Frau namens Elizabeth Ducoeur im Jahr 1905 und ihrer Schwester Eve Fairfax in Verbindung gebracht. Leider wird es einige Zeit in Anspruch nehmen, die näheren Umstände dieser Tragödie ans Licht zu bringen. Die Notiz Ihrer Mutter sowie die Überreste der Toten wurden vorerst als Beweismaterial sichergestellt, aber früher oder später werden Sie entscheiden müssen, wo der Leichnam zur endgültigen Ruhe gebettet werden soll.
Ihren Anweisungen gemäß habe ich alle im Haus zurückgebliebenen Stücke von irgendwelchem Wert versteigern und den Rest entsorgen lassen. Doch ich
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