Die Straße nach Eden - The Other Eden
Tagebuch begann - was ich jetzt eindeutig nicht mehr bin.
Ich erinnere mich daran, einmal zu Lizzie gesagt zu haben, ich würde nicht an Liebe glauben. Ich habe mir wirklich eingebildet, Liebe existiere nur in Romanen und Opern, weil meine eigenen Gefühle stets so unbeständig waren. Jetzt bin ich so von Liebe erfüllt, dass ich weder essen noch schlafen kann. Noch nicht einmal die Musik vermag mich abzulenken. Es scheint mir unmöglich, dass ich ihn nicht schon immer geliebt habe, und ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll, denn mir ist bewusst, dass diese Liebe verboten ist. Sie gilt einem Mann, der meine Schwester liebt, auch wenn dies nicht auf Gegenseitigkeit beruht.
Heute hat sie mir erzählt, dass er um ihre Hand angehalten hat und sie Papa versprechen musste, seinen Antrag anzunehmen. Hat sie denn nicht gesehen, wie ihre Worte mir fast das Herz gebrochen haben? Doch dann hätte ich sie am liebsten umarmt, als sie im selben Atemzug davon sprach, wie sehr er sie abstoßen würde und dass sie ihm misstraue. Sie sagt, er wäre unberechenbar und voll düsterer, ungezähmter Leidenschaft - als ob gerade diese Eigenschaften, die ich so an ihm liebe, ein Grund für die Abneigung wäre, die sie ihm entgegenbringt.
Ich weiß, dass sie einen anderen liebt und sie deswegen so über Louis spricht. Aber wie kann sie ihn mit einem solchen Argwohn betrachten, wo er doch ganz klar dasselbe
für sie empfindet wie ich für ihn? Es ist mir unbegreiflich, wie man eine so tiefe Zuneigung zurückweisen kann. Er beweist sie ihr doch jeden Tag aufs Neue, wenn er seine Unterhaltung mit mir im selben Moment abbricht, in dem sie ins Zimmer kommt, wenn er sie anlächelt oder wenn er eine Blume aufhebt, die sie fallen gelassen hat, wenn er sich unbeobachtet glaubt. Dann hat sie ihn auch noch dazu gebracht, ihr zu versprechen, zu warten, bis sie volljährig ist - noch fünf Jahre! Allerdings vermute ich, dass Maman dahintersteckt. Sie würde es nie zugeben, aber sie mag Louis genauso wenig wie Elizabeth, und Elizabeth ist ja ihr erklärter Liebling.
Wie können sie nur so blind sein?
Ich hatte bislang noch nicht ernsthaft darüber nachgedacht, aber jetzt ist mir klar, dass ich fortgehen und ein Konservatorium besuchen muss, wenn ich nächstes Jahr mit der Schule fertig bin. Dann werde ich eine Karriere als Konzertpianistin anstreben, auch wenn Papa und Maman dagegen sind. Ich weiß nicht, wie ich die Situation hier auch nur noch eine einzige Minute länger ertragen soll - vom Rest meines Lebens ganz zu schweigen.
Die auf diese ziemlich treffende Selbstanalyse folgenden Seiten ließen weitere beredte Gefühlsaufwallungen allerdings vermissen. Meine Tante schien in eine tiefe Depression versunken zu sein, und das Wenige, was sie über ihre unerwiderte Liebe schrieb, klang verbittert; sie gab erstmals sogar offen zu, auf ihre Schwester eifersüchtig zu sein. Doch eine Passage erweckte mein Interesse.
Maman ist krank geworden. Erst glüht sie vor Fieber und klagt über eine furchtbare Trockenheit in Mund und
Hals, dann geht es ihr auf einmal wieder besser, und dieses seltsame Muster hat sich jetzt schon mehrmals wiederholt. Der Arzt hat erst Malaria diagnostiziert, aber die Behandlung mit Chinin schlägt nicht an. Papa spricht davon, einen Spezialisten zu Rate zu ziehen, wenn sich ihr Zustand nicht bald bessert. Auf jeden Fall werden wir in Eden bleiben, bis Maman reisefähig ist, und ich schäme mich, gestehen zu müssen, dass dies für mich das Schlimmste an ihrer Krankheit ist. Ich möchte nur fort von diesem Ort und allem Unglück.
Ich blätterte das Tagebuch meiner Mutter durch, um zu überprüfen, ob ich einen ähnlichen Eintrag bezüglich der Krankheit meiner Großmutter übersehen hatte, aber die Aufzeichnungen endeten ein paar Tage vor denen von Eve. In Eves Tagebuch wurde diese Krankheit nur noch ein einziges Mal kurz erwähnt, und zwar ungefähr eine Woche nach dem ersten Mal. Dort stand nur:
Maman geht es besser. Wir reisen in zwei Wochen ab.
Die letzte Eintragung in Eves Tagebuch berührte mich in vieler Hinsicht am meisten. Sie spiegelte so klar und deutlich die Ansichten wider, die bis vor Kurzem auch noch die meinen gewesen waren, und den darauf folgenden ähnlichen Meinungsumschwung, den ich nach meiner Begegnung mit Alexander durchlebt hatte - obwohl ich damals den Gedanken, meine Gefühle für ihn könnten von Dauer sein, weit von mir gewiesen hätte.
Endlich ist Louis fort. Endlich … obwohl mich
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