Die Straße nach Eden - The Other Eden
Meadow. Er war einige Jahre älter als die Zwillinge und bei seiner verwitweten Mutter in Frankreich aufgewachsen. Die Ducoeurs von Joyous Garde waren schon älter und kinderlos, nach ihrem Tod würde die Plantage auf Louis übergehen.
In jenem Sommer hatte er seine Verwandten in Louisiana besucht, um sich mit dem Anwesen vertraut zu machen, das er eines Tages erben würde, und sich mit den Fairfax-Mädchen angefreundet. Zu dieser Zeit studierte er in Paris Kunst und hatte nebenbei Auszeichnungen auf dem Gebiet der Musik und der Wissenschaft errungen, obwohl er noch keine einundzwanzig Jahre alt war. Ich begegnete der Aufzählung seiner zahlreichen Fähigkeiten und Talente, über die meine Tante sich schwärmerisch ausließ, jedoch mit einiger
Skepsis, bis ich las, dass er das Portrait der Zwillinge gemalt hatte, das im Arbeitszimmer des Cottages hing.
Außerdem erwähnte Eve eine Reihe von Wandgemälden, die Louis für Eden anfertigen und dazu einmal mehr sie und ihre Schwester als Modelle benutzen wollte. Die Bilder sollten die biblische Geschichte des Sündenfalls darstellen. Mir tat es leid, dass Louis seine Pläne dann doch nicht verwirklicht hatte, bis ich begriff, wo der Grund dafür zu suchen war.
Wie es aussah, hatte sich im Lauf der Wochen, die die Zwillinge mit Louis verbracht hatten, ein Liebesdreieck zwischen ihnen entwickelt. Eve hatte sich in Louis verliebt, Louis in meine Mutter. Aus irgendeinem Grund, den sie nicht klar benennen konnte oder wollte, verabscheute meine Mutter Louis vom ersten Moment an mit ›derselben Intensität, mit der ich meine Schwester liebe.‹ Danach bezeichnete sie Louis’ Gefühle als selbstsüchtig und ließ nie durchblicken, dass sie sie erwiderte.
Doch Eve, die ihre Beschreibung der Affäre in demselben oberflächlichen Ton begonnen hatte, in dem sie über ihre Bostoner Verehrer geschrieben hatte, ging rasch zu einer tiefschürfenden Analyse ihrer eigenen immer stärker von ihr Besitz ergreifenden Liebe zu Louis über. Das hatte zur Folge, dass ich ihre Eintragungen genauer las und ernster zu nehmen begann, bis ich schließlich sogar Mitleid mit meiner unbekannten Tante empfand, die zwischen Liebe und Eifersucht gefangen gewesen war.
Im frühen Sommer schrieb sie über Louis:
Wir können über alles miteinander sprechen, ohne in Verlegenheit zu geraten. Wir diskutieren in einem einzigen Gespräch über mehr Themen, als ich es in allen bisherigen Gesprächen in meinem Leben getan habe. Immer wieder wundere ich mich darüber, wie er Gedanken
und Gefühle in Worte fasst, die auch mich bewegen und von denen ich bislang angenommen hatte, niemand wäre im Stande, sie mit mir zu teilen. Jedes Wort aus seinem Mund beweist mir aufs Neue, wie ähnlich wir uns sind. Nie hätte ich gedacht, einmal einen Menschen zu finden, der mich so gut versteht.
Und doch ist es Elizabeth, auf die sein Blick als Erstes fällt, wenn er einen Raum betritt. Es ist Elizabeth, an deren Lippen er hängt; Elizabeth, der er ständig mit den Augen folgt. Wir haben nie über seine Gefühle für sie gesprochen, aber ich weiß, wie seine Antwort ausfallen würde, wenn ich ihn fragen würde. In einem so ausdrucksvollen Gesicht wie dem seinen kann ich lesen wie in einem Buch, und wenn er sie anschaut, lese ich tiefe, unerschütterliche Liebe darin.
Und meine eigenen Empfindungen? Ich begreife einfach nicht, wie sie ihn so kaltlassen können. Ich spüre, wie sie mir im Gesicht geschrieben stehen; so klar und deutlich wie ihm die seinen, wenn er meine Schwester ansieht. Da ich ihn liebe, wünsche ich ihm natürlich, dass er glücklich ist, aber ich bringe es nicht über mich, mir zu wünschen, dass Elizabeth eines Tages ihre Meinung über ihn ändert und seine Liebe erwidert. Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass sie ihn nicht liebt, was mein Gewissen ein wenig erleichtert. Doch würde sie anders denken, wenn ich mich bei ihr für ihn einsetzen würde? Zögere ich, dies zu tun, weil ich immer noch hoffe, ihn für mich zu gewinnen? O Gott, so hilf mir doch! Ich kann es nicht ertragen, sie beide so sehr zu lieben!
Einige Wochen später schrieb Eve:
Ich habe die ersten Eintragungen in diesem Buch noch einmal überflogen - bin ich wirklich noch derselbe
Mensch, der das geschrieben hat? Früher pflegte ich in den Spiegel zu schauen und an mich zu denken. Blicke ich jetzt hinein, denke ich nur an Louis. Kaum ein halbes Jahr ist verstrichen, und doch muss ich sagen, dass ich ein Kind war, als ich dieses
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