Die Straße nach Eden - The Other Eden
Eigentlich hätte die Entdeckung dieses Raumes meine Neugier noch steigern sollen, aber sie hatte die genau gegenteilige Wirkung. Der Bann des Hauses, unter dem ich stand, war vorübergehend gebrochen, und ich nutzte diese Chance zur Flucht.
Ehe ich ging, wollte ich den Schlüssel zum Erdgeschosszugang zum Turm, den ich vom Boden aufgehoben hatte, wieder in das Schloss zurückstecken. Zwar weigerte ich mich zu glauben, das Turmzimmer könne tatsächlich bewohnt sein, war aber abergläubisch genug, um alles so zurücklassen zu wollen, wie ich es vorgefunden hatte. Ich wühlte in meiner Tasche nach dem Schlüssel, konnte ihn aber nicht finden.
Im nächsten Moment schlug meine leise Verärgerung in nacktes Entsetzen um. Ich stand wie erstarrt da und lauschte mit jeder Faser meines Körpers, weil ich gerade gehört hatte, was ich nicht gehört haben konnte - und dann hörte ich es erneut, zu klar und deutlich, als dass es sich um Einbildung handeln konnte. Leise Klaviermusik wehte von irgendwo unten zu mir empor. Es war eine Chopin-Ballade. Die Ballade, die ich keine Stunde zuvor selbst gespielt hatte.
Das Blut rauschte in meinen Ohren. Nicht in Panik geraten, nicht in Panik geraten, befahl ich mir; wiederholte
diese Worte im Geiste wieder und wieder, bis sie keine andere Bedeutung mehr hatten als die, alle anderen Gedanken auszublenden. Wenn ich mir gestatten würde, über das nachzudenken, was hier geschah, würde die Angst mich lähmen, das wusste ich.
Verzweifelt gegen die Hysterie ankämpfend, die mich zu überwältigen drohte, lief ich aus dem Turmzimmer und stürmte die Stufen hinunter. Es schienen viel mehr zu sein als vorher, die Wände schienen sich immer enger um mich zu schließen. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich nach dem Türknauf griff und sich eine eisige Faust in meine Magengrube bohrte. Die Tür war verschlossen.
Ich hielt mich nicht damit auf, mich zu fragen, wie das möglich war, sondern zerrte die Schlüssel aus meiner Tasche, sah sie durch und versuchte mich gerade daran zu erinnern, welcher in das Türschloss passte, als ich Schritte in der Ferne hörte, die sich in meine Richtung bewegten. Ich wandte mich von der Tür ab und der Treppe zu, konnte aber nicht entscheiden, was die bessere Option war. Dann sagte mir ein kleiner, noch logisch arbeitender Teil meines Verstandes etwas, was ich schon die ganze Zeit gewusst haben musste - wer auch immer das Turmzimmer benutzte, musste auf einem anderen Weg in das Treppenhaus hineinund wieder hinausgelangen, sonst hätte die Tür nicht von innen verschlossen sein können.
Und so sah ich, was mir ansonsten nie aufgefallen wäre. Rechts von mir befand sich eine kleine Tür in der Wand des Treppenhauses. Sie führte zu einer schmalen Kammer mit zwei weiteren Türen. Eine führte hinunter ins Dunkel. Durch die andere musste man ins Freie gelangen, aber sie war gleichfalls verschlossen. Mir fielen die Schlüssel wieder ein, ich öffnete die Hand, blickte darauf hinab und merkte, dass ich den Schlüsselring so fest umklammert hatte, dass Blutströpfchen auf meiner Handfläche schimmerten.
Meine Hände zitterten so stark, dass es mir kaum gelang, die Schlüssel ins Schloss zu schieben. Ich probierte einen nach dem anderen aus. Keiner passte. Die Schritte, die jetzt eindeutig als solche zu erkennen waren, kamen immer näher. In einem letzten verzweifelten Versuch warf ich mich mit aller Kraft gegen die Tür. Sie flog auf, gleißendes Sonnenlicht und eine Welle sengender Hitze schlugen mir entgegen. Ich riss den Schlüssel aus dem Schloss, schlug die Tür zu und rannte dann in den schützenden Wald hinein, wo ich mich gegen einen Baum sinken ließ und schluchzend nach Atem rang.
7. Kapitel
N achdem ich meine Fassung wiedergewonnen hatte, entdeckte ich eine mit Unkraut überwucherte Auffahrt und folgte ihr. Endlich kreuzte sie Edens eigene Auffahrt, und eine Stunde später war ich wieder zu Hause.
Ich saß in der dämmrigen, kühlen Küche und versuchte mir einen Reim auf das zu machen, was ich gerade gesehen und gehört hatte. Ich hielt es für unwahrscheinlich, dass es sich bei dem heimlichen Bewohner des Hauses um einen Landstreicher handelte. Sie - angesichts des Schlafzimmers war ich zu dem Schluss gekommen, dass es sich um eine Frau handeln musste - mochte geistig verwirrt sein, war aber sicher weder arm noch ungebildet. Und sie konnte nicht immer von Sinnen gewesen sein, dazu war ihr Spiel zu perfekt.
Die naheliegendste Antwort lautete,
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