Die Straße nach Eden - The Other Eden
entlangzog.
Die gewölbte Decke war hellblau gestrichen und mit mythologischen Szenen bemalt, in deren Mitte eine goldene Sonne prangte. Kobolde tanzten mit Feen; bärtige Götter jagten Nymphen in von Schwalben gezogenen Streitwagen; Satyre saßen Flöte spielend auf Wolken, umringt von einem Schwarm roter, goldener und blauer Schmetterlinge. Pegasus trug einen Jungen zu einem Mädchen in einem Perlmutttürmchen. Myriaden von Vögeln und Insekten, sowohl echte als auch der Fantasie entsprungene, tummelten sich in den unzähligen Szenen, die so kunstvoll miteinander verwoben waren, dass man sie im Gesamtbild kaum ausmachen konnte.
Es war der schönste Raum, den ich je gesehen hatte. Ich stellte ihn mir vor, wie er vor Jahrzehnten ausgesehen haben musste - von Kerzen oder Gaslampen erleuchtet, in deren Licht die prächtigen Ballkleider der sich zu Walzerklängen drehenden Gästeschar schimmerten. Doch dann fiel mein Blick auf das Klavier, und die imaginären Tänzer verschwanden.
Es war in die rechte hintere Ecke des Raumes geschoben und mit einem weißen Tuch bedeckt worden. Ich zog das
Tuch fort. Ein alter Steinway kam zum Vorschein. Die Tasten waren in ausgezeichnetem Zustand. Behutsam schlug ich einige von ihnen an. Obwohl das Klavier verstimmt war, was zu meinem Leidwesen im Klima Louisianas sehr schnell geschah, haftete ihm nicht der blecherne Missklang eines jahrelang vernachlässigten Instruments an. Ich setzte mich auf die mit Leder bezogene Bank und legte die Finger auf die Tasten, und bevor ich mich versah, war ich vollkommen in mein Spiel versunken.
Was dem Instrument entströmte, war die Chopin-Ballade, die Alexander vor einem halben Jahr bei seinem Konzert in der Symphony Hall gespielt hatte. Ich selbst hatte mich seit Jahren nicht mehr an ihr versucht - hätte man mich gefragt, hätte ich geantwortet, ich hätte sie vergessen. Trotzdem glitten meine Finger jetzt mit müheloser Leichtigkeit über die Tasten, ohne auch nur ein einziges Mal ins Stocken zu geraten. Erst als die letzten Töne in dem weitläufigen, leeren Raum verklangen, begann mein Verstand wieder zu arbeiten. Benommen starrte ich meine Hände auf den Tasten vor mir an, als könnten sie mir eine Antwort auf die Fragen geben, die wie die Schmetterlinge an der Decke in meinem Kopf umherschwirrten.
Draußen schob sich eine Wolke vor die Sonne. Schatten krochen durch den Raum und tanzten an den Wänden. Mit zitternden Händen klappte ich den Deckel wieder zu und zog das Tuch über das Instrument.
Meine Überzeugung, dass mit diesem Haus etwas nicht stimmte, wuchs mit jeder Sekunde. Aber ich war ja nicht ohne Grund hierhergekommen, und ich sagte mir, es wäre lächerlich, jetzt nur wegen eines Klaviers, das mich dazu zu befähigen schien, ein längst vergessen geglaubtes Stück zu spielen, einfach aufzugeben.
Ich widerstand dem Drang, mich noch einmal umzudrehen, stieg die Stufen zum Balkon empor und öffnete
die erste Tür, auf die ich stieß. Dahinter lag eine überraschend gut ausgestattete Bibliothek. Unmengen von Büchern füllten die deckenhohen Regale, einige von ihnen waren sehr alt. Sie umfassten die verschiedensten Themenbereiche und waren vornehmlich in Englisch und Französisch, aber auch noch in einigen anderen Sprachen verfasst. Eine Leiter führte zu einem kleinen Dachboden auf einer Seite der Bibliothek. Er enthielt zwei mit Bibeln, Gesangsund Gebetbüchern und anderen Werken religiöser Natur vollgestopfte Regale. Ich nahm eines heraus und schlug es auf. Die brüchigen Seiten waren mit kalligraphischen lateinischen Worten und wunderschönen Zeichnungen bedeckt. Aufs Geratewohl griff ich nach zwei weiteren Bänden. Sie waren ebenso alt und kostbar.
Ungläubig starrte ich die Bücher in meiner Hand an. Sie mussten nahezu unbezahlbar sein, und doch rotteten sie an diesem muffig riechenden Ort vor sich hin, verlassen und vergessen. Wieder krampfte sich mein Magen vor Furcht zusammen. Hätte dies alles mir gehört, hätte mich nur die nackte Angst um mein Leben dazu bringen können, es einfach so zurückzulassen.
Die verwitterten Ledereinbände der Bücher begannen mich abzustoßen, sie zerbröckelten unter meinen Händen und hinterließen einen trockenen, modrigen Geruch an meinen Fingern. Ich stellte sie an ihren Platz zurück und kletterte die Leiter wieder hinunter. Dem Turm war ich immer noch kein Stück näher gekommen, und die Zeit verstrich.
In der rechten Ecke des Raumes stand ein Schreibtisch unter dem Fenster. In
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