Die Straße nach Eden - The Other Eden
wäre.
Während ich in der dunstigen Stille des Gartens stand, spürte ich deutlicher als je zuvor, dass mir noch immer ein entscheidendes Puzzleteil in meinem Bild fehlte. Ich versuchte, mich dazu zu zwingen, nüchtern und logisch zu denken, aber die flirrende Hitze und die seltsam vertraute und doch fremde Umgebung machten es mir unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich weiß nicht, wie lange ich so dastand, doch plötzlich berührte mich etwas an der Schulter. Ich fuhr erschrocken herum, dann erkannte ich, dass es Alexander war. Ich bedachte ihn mit einem unsicheren Lächeln, dann wandte ich mich wieder zu der Statue um. Als ich zu sprechen begann, klang meine Stimme so rau und gepresst wie die einer Fremden.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Was? Diese Statue?«
»Nein, das alles hier … all diese unbegreiflichen Ereignisse. Warum steht die Figur in diesem Garten? Warum träumen wir von Dingen, die wir bis zu diesem Moment noch nie gesehen haben?«
Er gab keine Antwort. Ich kehrte der Statue den Rücken zu. »Lass uns gehen.«
Alexander und ich erforschten den Rest des Hauses, sowohl die Räume, die ich schon inspiziert hatte, als auch alle anderen. Die meisten waren leer, manche enthielten alte Möbelstücke, die manchmal Aufschluss darüber gaben, zu welchem Zweck die Zimmer einst gedient hatten, genauso oft aber auch nicht.
Unter den Räumen, die von den früheren Bewohnern eindeutig häufig genutzt worden waren, befand sich auch ein kleines Observatorium, ein quadratischer Raum mit großen Fenstern in den drei Außenwänden, vor denen Metallständer am Boden festgeschraubt waren. Alexander erklärte mir, es handele sich um Halterungen für Teleskope. An den Wänden hingen noch immer einige stockfleckige Sternkarten. In der Decke entdeckte ich eine Falltür, zu der eine Leiter mit eisernen Sprossen hochführte. Alexander kletterte als Erster hinauf, zwängte sich durch das Loch und zog mich dann zu sich hoch.
Wir gelangten auf eine auf dem flachen Teil des Daches errichtete Plattform. Ich trat an das Geländer und blickte über die Gärten hinweg, durch die wir noch kurz zuvor geschlendert waren. Rechts lag die mit Efeu bewachsene Mauer mit der verborgenen Tür, dahinter der kleine Flötenspieler und der Baum. Jetzt konnte ich auch sehen, dass sich an diesen kleinen, runden Garten noch weitere, parallel oder rechtwinklig zueinander verlaufende Gärten anschlossen. Alle wurden von verwilderten Hecken begrenzt. Ich versuchte gerade, mir einen Reim auf diese eigenartige Anordnung zu machen, als Alexander sagte:
»Es ist ein Irrgarten.«
Ich begriff nicht, wieso ich das nicht selbst sofort erkannt hatte. »Wozu er wohl dienen mag?«, murmelte ich leicht beschämt.
»Wieso meinst du, er müsste irgendwelchen Zwecken dienen?« Alexander schüttelte den Kopf.
»Weil hier alles zu etwas anderem zu führen scheint. Alles folgt einer bestimmten Logik, die ich noch nicht durchschaue. Ich kann mir nicht helfen, aber ich komme mir vor wie eine Marionette, deren Fäden irgendjemand in der Hand hält, der die Ereignisse nach seinem Belieben lenkt … wie ein Darsteller in einem Schauspiel, das ich nicht kenne.«
»Shakespeare hat einmal gesagt, die ganze Welt wäre eine Bühne«, versetzte Alexander ironisch.
»Ich meine es ernst, Alexander!«
»Ich auch. Dieses Haus ist tot, Eleanor, und die Toten lassen nichts zurück: keine Wünsche, keine Fragen, keine Geheimnisse. Und ganz gewiss keine Antworten.«
Mein Blick schweifte erneut über die Gärten. »Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?«
»Vielleicht hast du Recht.« Er setzte sich auf das Geländer. »Tatsache ist, dass ich mich manchmal frage, ob ich überhaupt an irgendetwas glaube. Ob irgendetwas im Leben einen Sinn hat.«
Ich registrierte ängstlich, wie nah er an der Dachkante balancierte. »Warum tut man dann überhaupt irgendetwas?«, gab ich zu bedenken. »Warum lebt man dann weiter, bemüht sich, einen Tag nach dem anderen hinter sich zu bringen, wenn doch alles keinen Sinn hat?«
Er lächelte schief. »Du verstehst nicht, was ich meine. Ich bin kein Nihilist; ich glaube, dass es Gründe dafür gibt, warum etwas geschieht und warum es auf eine bestimmte Weise geschieht. Aber das Leben ist so kurz, da erscheint
es mir sinnlos, die wenige Zeit, die ich habe, damit zu verschwenden, nach Bedeutungen zu suchen und alles und jedes zu hinterfragen.«
»Wer so eine Weltanschauung vertritt, macht es sich ziemlich einfach, wenn du mich
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