Die Straße nach Eden - The Other Eden
fragst.«
»Du meinst also, ich würde aus reiner Bequemlichkeit die Dinge lieber leugnen, statt sie zu akzeptieren?«
Alexander lehnte sich zurück und hob das Gesicht der Sonne entgegen. In diesem Moment erinnerte er mich so lebhaft an die Engelsstatue im Public Garden, dass ich schlucken musste. Dann sah er wieder liebevoll und ein wenig bekümmert auf mich hinab.
»Gerade eben, vor einem Moment war nichts so real wie die Sonne auf meinem Gesicht. Jetzt ist es die Art, wie sich deine Augen in flüssiges Gold zu verwandeln scheinen. Aber auch diese momentane Wahrheit wird vergehen. Die einzige absolute Wahrheit liegt in dem Augenblick, den wir gerade durchleben, und die einzige Gewissheit auf der Welt besteht darin, dass dieser Augenblick vom nächsten ausgelöscht werden wird. Wir sind alle nur Sandkörnchen im großen Strom der Zeit. Warum sollen wir darum kämpfen, alles zu begreifen, was mit uns geschieht, oder etwas daran ändern zu wollen? Warum lassen wir uns nicht einfach von diesem Strom mitreißen und dahintreiben, wohin er uns schwemmt?« Sein Blick wanderte in die Tiefe unter ihm.
»Glaubst du wirklich daran?«, fragte ich weich. »Oder sind das alles wieder nur philosophische Gedankengänge?«
Wie in der Nacht in seinem dämmrigen Arbeitszimmer umfing er mich auch jetzt mit einem Blick, hinter dem eine Vielzahl widersprüchlicher Emotionen brodelte. Und wie in jener Nacht wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich hinter seinen Augen nicht nur das strahlende Licht sah,
das mich stets so gefangen nahm, sondern auch die dunklen Scherben eines gebrochenen Herzens.
Als er antwortete, klang seine Stimme tonlos. »Ich glaube, dass wir in einer Welt leben, in der furchtbare Dinge geschehen, ohne dass es eine Erklärung oder eine Rechtfertigung dafür gibt. Was nutzen uns Vernunft oder der freie Wille, wenn uns beides weder zu Erklärungen verhilft noch das Gesetz der Sterblichkeit außer Kraft setzt?«
»Wie kannst du so etwas sagen?« Ich konnte nicht länger an mich halten. »Gerade du, dem so viele Gaben in die Wiege gelegt worden sind! Die meisten Menschen würden ihre unsterbliche Seele für einen Bruchteil dessen verkaufen, was dir auf deinem Lebensweg mitgegeben worden ist! Wenn du solche Ansichten vertrittst, hast du kein Recht darauf, die Welt mit deiner Musik zu verzaubern und die Menschen durch sie dazu zu bringen, dich zu vergöttern! Und bilde dir nicht ein, niemand würde dich durchschauen! Mir ist schon aufgefallen, was für ein Blender du bist, als ich dich zum ersten Mal spielen gehört habe!«
Alexander starrte mich einen Moment lang fassungslos an, dann zwinkerte er und senkte den Blick. Als er mich wieder ansah, schwammen seine Augen in Tränen; Tränen, die aus den Augenwinkeln einer Statue hätten rinnen können, denn sein Gesicht blieb völlig unbewegt. Jetzt war es an mir, ihn stumm, hilflos nach Trostworten suchend anzusehen, bis er mich mit einem Mal in die Arme schloss und so fest an sich drückte, als wolle er mich nie wieder loslassen, und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass ihm all die unheimlichen Ereignisse der letzten Tage genauso große Angst einjagten wie mir.
»Es tut mir leid«, flüsterte er schließlich.
»Warum?« Ich löste mich behutsam von ihm.
»Weil kein Grund dafür bestand, all diese Dinge laut auszusprechen und weil ich sie nicht so gemeint habe, wie
du sie aufgefasst hast.« Er schien einen Moment mit sich zu ringen. »Eleanor«, sagte er dann plötzlich drängend, »kann ich dich nicht doch dazu überreden, Eden zu verlassen? Dieser Ort ist nicht gut für uns, vor allem für dich nicht - so anders als alles, was du kennst und viel zu abgeschieden von der Außenwelt. Lass uns nach Boston zurückkehren. Oder nach New York oder Europa, wenn du möchtest. Wir bleiben zusammen, ich nehme ein festes Engagement an…«
Er musste von Anfang an gewusst haben, dass all seine Bitten auf taube Ohren stoßen würden, denn er widersprach nicht, als ich ihn unterbrach.
»Ich habe mein altes Leben aus guten Gründen hinter mir gelassen, so wie du das deine«, erklärte ich. »Vielleicht ändere ich meine Meinung später noch, aber vorerst will ich hierbleiben. Ich muss herausfinden, was mit meiner Mutter und ihrer Schwester passiert ist, sonst werde ich mich für den Rest meines Lebens mit unbeantworteten Fragen herumschlagen. Aber geh du nur, wenn du gehen willst oder musst. Ich möchte nicht noch mehr Unglück in dein Leben bringen.«
Doch er schüttelte
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