Die Strudlhofstiege
Zeitabstande vorher mitteilen wolle, für wann ich's beabsichtige.«
»Leider ist es bei der Absicht geblieben.«
»Ja«, sagte Mimi ruhig. »Was nun aber deinen Brief betrifft, den Otto unterschlagen hat, so bin ich darüber ganz der gleichen Meinung wie er. Was hast du übrigens, Otto, mit dem Brief getan?«
»Frage!« sagte der Rittmeister. »Sofort verbrannt, versteht sich.«
»Gut. Dann will ich mit den drei Blättern aus dem Notizbuch hier das gleiche tun. Es sind ohnehin nicht solche aus dem Büchlein, sondern solche von dem Abreiß-Block, der sich dabei befindet. Sie gehen also ohne Schaden heraus.«
Mimi entnahm die drei Blätter, ließ ein silbernes Feuerzeug springen und die Papierstücke über der großen steinernen Aschenschale am Schreibtische aufflammen und in derselben gänzlich verbrennen. Mit dem Briefmesser zerstörte sie die noch glimmenden Reste.
»Seid ihr aber besorgt um euern Major!« sagte Editha beiläufig.
Sie staunte andauernd und zwar über etwas auf den ersten Blick anscheinend ganz Nebensächliches, das ihr jetzt plötzlich und heftig an der Schwester auffiel, was weder zu Buenos Aires vor zwei Jahren noch zu Paris im heurigen Frühjahr der Fall gewesen war, obwohl sie dort in der Rue Tronchet in dem kleinen Hotel ›Opal‹ mit Mimi zusammen ein und dasselbe Zimmer bewohnt hatte. Es war eine gewisse Zimperlichkeit. Dies Notizbüchlein, dies Bleistiftchen, dies Ausstreichen, dies sofortige und sorgfältige Verbrennen der Blättchen. Eine Zimperlichkeit und Ängstlichkeit der Ordnung, welche hier nicht mehr energisch da oder dort einen trennenden und einteilenden Schnitt und Strich zog und dann ohneweiteres auf ihn deutete, sondern gleichsam nur kleine Stacheln aufstellte, ihre eigene Unfähigkeit zu dem und jenem sorgfältig registrierte (und damit auch die wieder entstehende Säumnis und Unordnung). Aber jene Stacheln empfand Editha als gegen sich gerichtet. Und zugleich erschien ihr Mimi rührend, wie sie mit ihren kleinen Mittelchen sich wehrte und wehrte, blond und regenbogenfarbig-zerfahren vor dem weiten Hintergrund mit Burg und Berg sitzend, den Editha jetzt plötzlich auffaßte, den Luftabgrund, aber nicht mehr ganz voll Sonne, denn der Nachmittag neigte sich. Sie liebte ihre Schwester in diesen Augenblicken wahrlich nicht viel weniger vordringlich und heftig, wie ein sehr vernarrter Mann eine Frau liebt. Diese exotische Blume vor hausbackenem Hintergrund. Und sie strebte in dies Spiegelbild hinein, das aber nicht auf sie zukam, wie es hätte sein sollen (ihrer Meinung nach, ja man müßte fast sagen, ihrem Glauben nach), um endlich aus der allerletzten trennenden kristallenen Fläche zu treten, sondern bei jeder Annäherung an diese vor ihr wich in den unzugänglichen Spiegel-Raum dahinter, den Editha nicht wissen wollte, den Editha bestritt.
Der Rittmeister, der nicht darin eine Niederlage erblickte, daß er, um Edithas Unvorsichtigkeit zu tadeln, zugleich seine Unterschlagung hatte einbekennen müssen, sondern in jener Blödigkeit innerer Oberfläche, welche zu der Unterschlagung ihn erst gebracht hatte, den kurzen Griff nach den offen und bereit liegenden Briefen hindernd – der Rittmeister also hielt nunmehr die Gelegenheit für schicklich, um einige Belehrungen erfließen zu lassen, bezüglich der praktischen Durchfüh rung jener Einheit der Person, wenn wir's schon einmal so bezeichneten, oder eines ›unicalen Auftretens‹, um mit Editha zu reden, welcher dieses offenbar den Ersatz für einen nicht zu erreichenden Ideal-Zustand bedeutete; und erst an der diesbezüglichen inneren Oberfläche eine zweckhafte Veranstaltung; welche letztere bei einer Editha Schlinger immer durchaus gleichbedeutend mit irgendeiner Art von Schwindelei sein mußte.
»Hört mal«, sagte er (nachdem er sich neuerlich gestärkt hatte), »ich möchte euch empfehlen, wenn ihr schon durchaus jetzt willens seid, eine Dame ohne Unterleib, ach was, Stiefel, ich meinte also, Deibel noch mal, eine einzige Person zu spielen, weiter zu spielen, kein Mensch weiß warum, dem Melzer also solchermaßen was vorzutäuschen, wenn ihr das also in eurer diesbezüglichen Absicht und allerblödsinnigsten Planung habt, dann rate ich euch, dem, woll'n ma mal sagen, sprachlichen Moment, einiges Augenmerk zuzuwenden. Denn das geht absolut nich. Si ex duabus una facienda et loquendi mos congruere debet. Vastehste?«
»Nein«, sagte Editha und fügte hinzu: »Tepp. Ich weiß aber, was du meinst, weil ich an
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