Die Strudlhofstiege
auf!« schrie sie, »hier ist doch kein Schweinestall.«
»Doch, doch«, erwiderte der Rittmeister in modestem Tone, »doch, doch. Bin ein armes, altes Schwein.«
»Ja, du vielleicht«, sagte sie, »das kann schon stimmen. Freilich sind andere Schwierigkeiten noch, vor allem durch deine Schuld. Es fragt sich, ob dieser René Stangeler uns am Westbahnhof gesehen hat oder nicht.«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Eulenfeld, »wenn man nämlich die diesbezügliche Beschaffenheit von deme Stangeler in Anschlag bringt.«
»Deme … was du für eine Sprache führst, Otto, das ist schon manchmal um aus der Haut zu fahren. Dieser barocke, geschwollene Blödsinn. Man möcht' glauben, einer deiner Vorfahren wär' so was wie ein Zeremonienmeister gewesen.«
»Botenmeister, Botenmeister. Kurier-Chef. Bei der Mutter und bis 1688 Vormünderin des Landgrafen Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, Elisabeth Dorothea von Sachsen-Gotha.«
»Gut«, sagte Editha, »du darfst dir einen Gulden elf aufschreiben. Was dich nicht daran verhindern soll, aus deiner Thea herauszukriegen, ob Stangeler oder auch sie uns gestern am Perron gesehen haben. Und wer die beiden anderen Frauenzimmer waren, die mit dabei gewesen sind, die junge, große, mit den rötlichen Haaren, und die kleine, ältliche …«
Das Folgende artete nahezu in ein Verhör aus. Der Rittmeister hat es – bei währendem Gespräche – als »logizistischen Flohzirkus« bezeichnet und verschiedene Male mit »Yes, Mr. Sherlock Holmes« geantwortet, und später, als ihm gar strikte Befehle erteilt wurden, mit »Jawoll, Herr Oberst«. Gäbe es unter den Charakteren unserer Schrift ein großes Grunz-Zeichen, man müßte es bei einer (bewahre!) wörtlichen Wiedergabe gerade dieses Teiles der Unterhaltung fast jedesmal hinter des Rittmeisters Reden setzen: die er stand – das heißt, er stand Red' und Antwort, und wurde dabei von Editha auch einmal als »Idiot« tituliert (»kraftjeschwängerte Vokabel«). Das letzte erfolgte, als er fand, daß doch »nichts 'bei gewesen wäre«, wenn Editha etwa zufällig die Thea im Zug getroffen hätte. Nun, man kann sich die Wut der Pastré denken, welche doch »offiziell« zur kritischen Zeit in Wien aufschien – in Mimis Gestalt – und am gestrigen Freitag mittag, also vor dem Abend ihrer paradoxen Ankunft, dem Major Melzer in der Porzellangasse ihre Füllfeder übergeben hatte (Mimis Rapporte scheinen ja recht brav gewesen zu sein!). Und natürlich habe Eulenfeld in seiner ›Ginialität‹ – solche Anspielungen trafen ihn immer besonders schmerzlich, ob nun von Seiten einer Wöss oder einer Editha Pastré – überhaupt auf alles und jedes vergessen gehabt, obwohl er doch, wie er selbst zugebe, recht gut gewußt habe, mit welchem Zuge die Thea einlangen werde … kurz: hier wäre ein Telegramm nach Salzburg zu jagen gewesen! Und nun erst Stangeler! Der hatte gerade noch gefehlt! Woher denn der Rittmeister überhaupt in Kenntnis davon gewesen sei, daß der auch auf der Bahn erschienen war, um seine Grete zu holen? Und die beiden Frauenzimmer, die Tanten, oder was sie schon waren? Von der Thea, telephonisch? Also: es gelte herauszubringen, ob irgend wer sie selbst und Editha zusammen gesehen habe. Erstens aus der Rokitzer. Den René beschloß Editha selbst vorzunehmen, beim Tee (Mimi lehnte ein solches Ansinnen glatt ab). Die Thea wurde Eulenfeld zur diesbezüglichen Behandlung zugeteilt: für Sonntag – heut' um neun Uhr habe er ja Gäste (»Mimi hat zu meinem Glücke ihr Erscheinen zugesagt«, bemerkte der Rittmeister). Also am morgigen Sonntag dann. Wenn Thea seine Sachen herrichten würde. »Wie ich dich kenne, wirst du ohnehin mit den Vergeltungsmaßnahmen wegen des an Mimi ausgelieferten Briefes warten, bis das letzte Paar Strumpf gestopft ist. Wie erreicht man den Stangeler? Daheim hat keinen Sinn. Er muß ja wahrscheinlich erst mit seiner Grete ausmachen, wann die ihn nicht brauchen kann. Also besser bei Siebenscheins morgen gegen fünf? Von der Dolly weißt du's, daß er morgen dort hinkommen wird? Gut. Du wirst anrufen, nicht ich. Und mir dann den Hörer geben.«
»Bin aber mit Theachen um diese Zeit«, wandte der Rittmeister jetzt ein.
»Ist mir gleich, wirst für eine Viertelstunde herüberkommen und sie derweil Strümpfe stopfen lassen. Kannst gleich berichten, ob du den Eindruck hast, daß sie was gesehen hat am Bahnhof. Und mit der Blödheit des René, von dem du immer wieder behauptest, er fasse überhaupt nichts auf,
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