Die Strudlhofstiege
Schwester zugesicherte Mitwirkung bei der Täuschung Melzers. So ganz recht hat der Herr von Langl nicht gehabt: man kann einen Zwillingsbruder besitzen, dem obendrein noch vereinzelte Züge eines Doppelgängers eignen …
Gerade dieses letzte aber lag mehr an der Oberfläche und in einem verhältnismäßig helleren Lichte des Bewußtseins für Mimi, als jene untersten und eigentlichen Münchener Erinnerungen, welche fast solche an eine leibliche Persons-Werdung waren, eine zweite Abgeburt … die mit der Zeit einen moralischen Nenner erhalten hatte. Er lag jetzt zur Hand. An ihm hielt sie sich fest, um ihn herum gruppierte sie die Situation (soweit davon bei ihrer strähnigen und streifigen Wesenheit die Rede sein kann), hier war der Ansatzpunkt für ihre stets erneuten und aussichtslosen Versuche, zu ordnen, wovon sie selbst mitgenommen wurde, zu befestigen, was unter ihr rutschte und wanderte wie Geröll.
Damit endlich war Mimi wieder an der äußeren Oberfläche der Geschehnisse angelangt und wandte sich zu dem Rittmeister, der jetzt nicht ohne Spannung wartend zu ihr herüber sah, trotz der ersten schwachen, grauen Anzeichen knopfäugiger Erloschenheit im Blicke, denn inzwischen war von dem eleganten silbernen Gegenstand mit Schraubverschluß ein neuerlicher Gebrauch gemacht worden.
»Der Brief«, sagte sie und sah in ihr Notizbuch, »war vom 9. Juli. Außer alledem, was du schon erwähnt hast (sie zog den kleinen Stift und strich's in den Notizen) schreibt Editha noch darin wegen unserer Eltern das Folgende: Es sei ihr ganz besonders unangenehm, daß sie niemals wisse, ob ein Brief aus der Gußhaus-Straße von ihr überhaupt noch beantwortet werden dürfe und solle, weil ich mich ja inzwischen vielleicht plötzlich aufgerafft haben und sozusagen in ihrer Vertretung zu den Eltern gegangen sein könnte. Dieser Zustand falle ihr auf die Nerven, auch durch die Unregelmäßigkeit und das oft sehr lange Ausbleiben meiner Nachrichten. Dies also sei unhaltbar. Ich möge einen Tag oder Termin festlegen für den Besuch bei den Eltern; diese beabsichtigten heuer erst gegen Ende des August Wien zu verlassen und für drei Wochen nach Meran zu verreisen. Bis dahin müsse das also erledigt sein. ›Sogleich nach dem Besuch bei den Alten schickst Du mir ein Telegramm, daß Du wirklich schon dort gewesen bist‹ – sie las jetzt den wörtlich notierten Text – ›Du wirst wohl einsehen, daß es so, wie Du das machst, nicht geht, mir kommen hier schon die Nerven bei den Ohren heraus. Ich bitte Dich, nimm Dich zusammen und quäle mich nicht mit Deiner Ungenauigkeit und antworte doch auch in Deinen Briefen auf Fragen, die ich stelle! – Du mußt Dir schon die Mühe machen, wenn Du mir schreibst, wenigstens meinen letzten Brief vor Dich hinzulegen und die Hauptpunkte durchzusehen …‹«
»Unsinn«, knurrte Eulenfeld. »Hat noch keine Frau getan, seit die Welt steht. Unmögliche Forderung.«
»Ja, und dann«, setzte Mimi fort, nachdem sie Eulenfeld einen nur kurzen Blick zugeworfen hatte, »steht in dem Briefe noch einiges darüber, was ich für den Besuch in der GußhausStraße hätte anziehen sollen. Ja nichts von den Pariser Sachen« (sie strich jetzt wieder nachdenklich und sorgfältig mit dem Stiftchen alles bisher Vorgebrachte), »sondern das dunkelblaue Kostüm Edithas aus dem Schrank hier …«
»Na, laß man gut sein!« fuhr der Rittmeister jetzt dazwischen, »genügt ma vollständ'ch! Jawoll, 's ist jener Brief. Deibel noch mal! Weiberwirtschaft! Armer alter Husar! Thea. So'n Biest. Rokitzerin. Na warte mal. Hauptbeutel. Da geht einem der Hut hoch. Duplizitäts-Gören. Scheich ül Islam. Da kann ma nur mehr 'n bemoostes Haupt beuteln. Sunt certi denique fines. So 'n Hauptbeutel, diese Thea! Gleich ab Hauptpost. War natürlich vorher hier. Irish banc. Na warte mal, dich laß' ich springen. Aber gemach, gemach. Später, peut-être. Für heutabend woll' ma's noch verknusen! Das ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend Übles muß gebären. Oller Jambenfritze. Ώ προς θεών. (Oh, bei den Göttern!) In die Zirkel geritten! So 'n Gaul. Springt auf der falschen Hand ein. Ihr könnt mich.«
»Danke«, sagte Editha.
Die Schwester wandte sich ihr zu:
»Ich habe den auf die Eltern bezüglichen Teil deines Briefes damals vollständig begriffen und dir sogleich geantwortet, daß ich mich zur Zeit einfach nicht fähig fühle, jenen Besuch zu machen; und daß ich dir demnächst genau und in ge nügendem
Weitere Kostenlose Bücher