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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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deine allerblödsinnigste Ausdrucksweise seit nun bald fünf Jahren gewöhnt bin. Ansonst wär' mir dein Gebrodel völlig unverständlich.«
    Er sah lieb drein, wirklich charmant gekränkt, ein guter Bernhardiner. Editha gefiel das so sehr, daß sie rasch aufstand, ihm einen Kuß applizierte und sodann wieder in jenem weißen Rokitzerischen Ohrfeigengestühl Platz nahm.
    »Vielen Dank«, sagte der Rittmeister, nachdem er ihr seinerseits die Hand geküßt hatte. »Also, mal in die Zirkel geritten! ›Große Tour!‹ haben s' es geheißen bei eurer Reiterei wahrhaft glorreichen Angedenkens. Ojemine, wo is das nu allens hin! Hauptbeutel. Es sei also nur soviel gesagt, daß deine diesbezügliche Redeweise von der Mimis in einem nicht zu überhörenden Maße, id est ganz erheblich, abweicht. ›Saudumm, Armleuchter, Tepp‹, und was de da sonst beliebst an kraftjeschwängerten Vokabeln. Jedoch, nicht nur in den obangezeigten mehr-weniger vulgären Invectiven liegt's. Sondern sie, will sagen, unser Mimichen, hält 'ne engere Tuchfühlung mit der deutschen Grammatik ganz im allgemeinen. Spricht korrekter. Sonst, im Tone, will ich mal sagen, seid ihr nicht gar verschieden. Weder Wedder – ach wat! – Weder hat der Wedderkopp eine merkliche linguistische Wirkung auf dich gehabt, noch auf jene das Spanische. Euch beiden würde man im gegebenen Falle der Diesbezüglichkeit, Deibel noch mal, wollte sagen in einem allenfalls eintretenden diesbezüglichen Falle, wenn ihr nämlich das Deutsche redet, doch eure hiesige Herkunft aus den diesbezüglich hier in Frage kommenden Schichten wohl ohnschwer anmerken. Nur das Vocabularium macht hier im Grunde die differentiam aus, zudem ein genaueres beziehungsweise weniger genaues Beobachten der Grammatik (dieses letzte Wort betonte Eulenfeld immer auf der letzten Silbe), wobei sich jene größere Präzision bei Mimichen wohl davon herleiten läßt, daß sie der deutschen Sprache sich durch die Länge der Jahre nur legendo nicht dicendo bediente, will sagen, in ihr wohl viel gelesen aber fast nie gesprochen hat. Stimmt's, Mimi?!«
    Mimi nickte. Nachdem Editha gleichsam beiseite bemerkt hatte: »Wenn dieser alte Trottel einen Satz anfängt, kann man inzwischen auf die Post gehen und einen rekommandierten Brief aufgeben: kommt man zurück ist er noch immer nicht fertig« – nach dieser Randbemerkung wandte sie sich dem schwierigen Rittmeister zu und sagte:
    »Gemach, gemach, Otto! Ich zweifle nicht an, daß du richtig beobachtet oder eigentlich gehört hast. Jedoch ist all das ein kleines. Auch ich bin einer anderen Sprache mächtig, die nicht an das Gewesene gemahnt. Ich vermag mich loszulösen, ja sogar aufzulösen, als ging' ich durch die Avenida de Mayo und als wär' sie mir gewohnter wie die Kärntnerstraße, und eine weiße Fassade mit zwölf Säulen weit selbstverständlicher als das ›Riesentor‹ von St. Stephan (oh, möchtest du doch jetzt ein weniger blödes G'schau machen, aber solches wär' dir wohl ohnmöglich). Es sind mir die Regenbogenfarben nicht fremd, und ich weiß es, wie zerstreut man in ihnen sein kann, auch mit dem Leopoldsberge im Hintergrund (oder wie oder was). Ich muß mich nicht verstellen, um wie Mimi zu reden, ich muß nur den Verzicht zurücknehmen, nicht Mimi ganz zu sein, und im Grunde hab' ich darauf nie verzichtet. Ich muß nur vergessen, daß eine feine rote Nadel in mir an einer vergeblichen Herznaht näht, und schon bin ich glücklich, und schon auch – wie leicht fällt's mir doch! – rede ich Mimis Sprache!«
    Es war das (wenn man von den eingeschalteten Zwischenbemerkungen absieht) wirklich im höchsten Grade der Fall (›nu bleibt ma die Luft wech‹, sagte der Rittmeister und sonst aber nichts). Editha hatte sich erhoben, und jetzt schon war sie drüben und kniete vor Mimi am Boden und umschlang sie. Nun war es still. Während Edithas Rede hatte es geschienen, als sänge sie sich gleichsam in die Geliebte hinein, denn zu Anfang war ihr Ton so vollkommen noch nicht mit Mimis Sprechweise übereingekommen. Jedoch die letzten Sätze wirkten wie von der Schwester erfunden, ausgesprochen, in die Wärme ihrer Stimme und deren sanft klagenden Ton gehüllt, der entfernt an das süße Näseln einer Klarinette erinnern (gemahnen) konnte.
    Eulenfeld war's, der hier das abschließende Wort sagte, als die Schwestern einander endlich aus den Armen gelassen hatten und Editha wieder an ihren Platz im Ohrfeigengestühl zurückgekehrt war: und dies wirkte auf den

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