Die Strudlhofstiege
fühlte er, daß er an ihr einen Halt habe, einen spürbaren, greifbaren. Das zweite aber war Hoffnung; an diese kam zunächst nichts Vernünftelndes heran.
Wozu auch keine Zeit blieb; denn bald saßen sie beisammen. Sofort wußte Thea aus Melzers Zügen, daß ein Neues eingetreten war. Ihre linke Hand hielt seine Rechte, in schicklicher Weise, aber fester als sonst. Wieder geriet ihm die Erzählung; knapp und klar floß eines in's andere. Und dieses leichte Gehen in der Sprache, welche gewichtlos machte, was sie mühelos hob, dieser Umstand vor allem beruhigte Melzern in der Tiefe seines Herzens und nicht, weil er sich aussprechen konnte, wie man zu sagen pflegt (und wobei man nichts anderes meint als jenes zweifelhafte Abstellen-Wollen zu schwer werdender Butten). Sondern: weil er die Sachen solchermaßen geordnet auszusprechen fähig war: und auch das noch, sein Briefchen vom
10. Juli an Frau Schlinger betreffend.
Da kehrte denn die große dumme Tasche ihren untersten Grund hervor und was in ihrem innersten Seitenfache steckte.
Schon als sie geöffnet wurde, fühlte Melzer sich in merkwürdiger Weise beruhigt.
Das Lämmlein ward rot wie die Blumen in den Bauerngärten und reichte ihm abgewandten Antlitzes den einst am Donau-Ufer von der Paula Pichler mittels ihrer kleinen Schere aufgeschlitzten Brief.
»Ich war so eifersüchtig«, sagte sie, aber kaum hörbar.
Melzer zog das Blatt aus dem Umschlage und las diesen Text, dessen Bedenklichkeit angesichts des Zusammentreffens der Umstände nun in des Wortes eigentlichster Bedeutung klar auf der Hand lag: und schon gar, was dies Blättchen hätte bedeuten können zusammen mit jenen Papieren, welche Thea wahrlich in letzter Minute in Edithas kleinem Zimmerchen von der Glasplatte genommen hatte.
Er behielt den Brief in der Linken, ergriff ihre Hand und sagte nur ihren Namen. Endlich wandte sie das Gesicht zu ihm. An den Wimpern hingen Tautropfen. Sie sagte auch seinen Namen. Natürlich nicht »Melzer«, sondern den Vornamen, den sie nun längst schon kannte. Wie sagte sie also? Wir wissen Melzers Vornamen nicht.
Nein, der Autor weiß den Vornamen seiner Figur nicht, er weiß ihn wirklich nicht (so wenig wie Melzer die Hausnummer der Rokitzer gewußt hat, als er dort am Lande, Samstags, den 29. August, der Thea im Wirtsgarten beim Kaffee eine Ansichtskarte schreiben wollte). Jener war einfach ›der Melzer‹, immer. Was brauchte der einen Vornamen? Aber jetzt benötigt er ihn, damit die Thea Rokitzer den Namen aussprechen kann, so daß diese Membrane von zwei oder drei Silben sich baucht, ja fast zum Platzen spannt unter dem Andrang eines ganzen zweiten Lebens, das da hinein will. Sie wird diesen Namen aussprechen, wie ihn von da an nie mehr ein anderer Mensch aussprechen kann, denn sie wird in diesen Na men münden. So wird Melzer endlich seinen Namen zu Recht bekommen, denselben, der am Taufschein gestanden ist, dem Autor unbekannt. So wird Melzer gewissermaßen erst zur Person, ja, zum Menschen. Das ist viel und der Weg ist weit, von einem Bosniakenleutnant zum Menschen. Was soll nun noch groß kommen, was auf 's Spiel gesetzt, wer gerettet werden? Für uns hört der Mann auf, Figur zu sein. Demnach könnte er höchstens selbst noch ein Autor werden, Autor etwa einer Lebensbeschreibung. Aber die haben wir ihm schon besorgt. Fahr' hin in Bälde! Für mich bleibst du ›der Melzer‹. Servus Melzer, grüß' dich!
Sie blieben im Parke sitzen, und jetzt, vom Druck befreit, zerstäubte alles in vielerlei kleinen Unsinn und in Dalbereien, wie die Perlen in einer geöffneten Soda-Flasche steigen und an der Oberfläche hüpfen. Zunächst verbrannten sie Melzer's Brief an Frau Schlinger; Thea hielt ihn an einem Eckchen, der Major gebrauchte das Feuerzeug und ließ die helle Flamme schließlich auf den Kies vor der Bank fallen: da saß sie grell im letzten Abendscheine, hatte einen Augenblick lang die Gestalt eines Herzens (wenigstens bildete unser Major sich das ein) und sank in Asche zusammen. Melzer zerteilte und zerstörte die Reste vollends mit dem Schuh. Er gedachte Mimis, die ein gleiches heute Nachmittag mit dem Feuerhaken getan, während draußen die Sonne noch scharf glastend auf den Bergen gelegen war.
Unter anderen harmlosen Torheiten beschäftigten sie sich jetzt auch damit, die Tage bis zur Hochzeit zu zählen (welche man viel zu weit hinausgeschoben hatte, nach der Meinung des auf neue Art aktivierten Majors). Aus Theas Kalenderchen wurde bei dieser
Weitere Kostenlose Bücher