Die Strudlhofstiege
Rittmeister schon am Montag die diesbezügliche Familie Pastré zur Gänze in die Zirkel reiten. Wie zwei Geißen trieb er die Zwillinge, nachdem Editha ihren Besuch bei den Eltern telephonisch hatte ankündigen müssen, vor sich her in die Gußhausstraße, und bezog zunächst in einem nahegelegenen Café Hauptquartier und Gefechtsstand. Editha wurde sogleich als Voraus-Abteilung abgefertigt, Mimi behielt er derweil einmal beim Stabe zurück. Die Schlinger hatte einen Zettel in's Täschchen eingelegt bekommen, darauf die Telephonnummer hiesigen Standorts vermerkt war. Nach Feindberührung und erstem Vorpostengefecht – so nannte der Rittmeister die schonende Vorbereitung der Alten auf das Erscheinen Mimis – war Meldung durchzugeben, ob das Gros nachrücken könne. Alles war recht ordentlich veranstaltet, auch der alte Ober hier avisiert, daß ein telephonischer Anruf für Baron Eulenfeld einlangen werde, innerhalb einer Stunde etwa. Die Voraus-Abteilung ritt ab. An ihrem Erfolge zweifelte Eulenfeld nicht. Editha war unter Druck gesetzt, Wedderkopp vor den Toren, von Scarlez ganz zu schweigen. Und, zudem, der Rittmeister kannte seine Alten; aus manchem Briefwechsel.
So blieb man denn zunächst hier in guter Ruh' und trat den Angelegenheiten in Form eines vierstöckigen Cognacs näher. Denn was der gute alte Oberkellner vorerst auf des Rittmeisters Wink herangebracht hatte, war von diesem mit Erstaunen betrachtet worden und zwar durch das aus dem Auge genommene und wie eine Lupe gebrauchte Einglas. In der Tat, das Gemäß bestand aus einem überaus dickwandigen Gläschen, in dessen innerster Mitte nur der goldgelbe Schein leuchtete, nicht mehr als in einen Fingerhut gehen mag (zu jener Zeit hielt man jeden Caféhausgast in Wien, der Cognac bestellte, für erkrankt). »Guter Freund«, sagte der Rittmeister, »hier wird eine Multiplikation vonnöten sein, mindestens mit vier, woll'n ma' mal sagen.«
»Wie meinen der Herr?« fragte der Ober mit der zeremoniösen Höflichkeit alter Schule. »Nun«, entgegnete Eulenfeld behaglich, und hob das verhältnismäßig schwere Gläslein ein wenig empor, »wir wollen das hier bestehende Verhältnis zwischen Glas und Flüssigkeit umkehren. Tun sie also, Verehrtester, deren ein vierfaches Quantum in ein diesbezügliches Gemäß; dann woll'n ma' weitersehen.«
»Jawohl, Herr Baron«, sagte der Ober und übersetzte nun gleichsam Eulenfelds umständliche Ausdrucksweise in die kürzere Geschäftssprache: »Vier Cognac in einem Glas.« Den Kopf schüttelte er jedoch erst, als er um die Ecke getreten war. Was dann erschien, war diskutabel: eines jener flachen Gläser, aus welchen man auch Cocktails genießt, bis zur Hälfte mit der Herzstärkung gefüllt. Der Rittmeister grunzte ganz leise. Mimi saß ergeben vor ihrer Limonade.
Was ihr bevorstand, was man mit ihr jetzt veranstaltete, wehte nur schwach und zerfahren von außen an sie heran, wenngleich sie die Notwendigkeit der hier zu startenden Aktion im großen und ganzen wohl einsah. Jedoch dies alles, diese ganze Leitmechanik, schien Nebensache. Ihr Inneres war von einer ständig zunehmenden Freude erfüllt über die in absehbarer Zeit bevorstehende Ankunft des Gatten: hinter welche sie dann die Rückkehr mit ihm setzte in die eigentliche Heimat, die's längst auch für sie geworden war; und dies blieb vielleicht als die wesentliche, die abgereifte Frucht dieses Sommers bestehen (in der Tat ist Mimi Scarlez in den folgenden Jahren dort drüben erst das ganz geworden, was man eine glückliche Frau nennt). An der Versöhnung mit den Eltern lag ihr jetzt und hier nichts. Sie war rein oktroyiert, durch Eulenfeld. Und doch lag alles daran. Indessen, sie vermochte das noch nicht zu erkennen. Es sei immerhin bei dieser Gelegenheit angemerkt, daß Mimi eine solche Einsicht späterhin nachgeholt hat.
Nach vierzig Minuten schon meldete sich Editha: Mimi möge kommen.
Der Stab schloß an das Gros an (kleines Grunz-Zeichen), ja, man könnte sagen, er eskortierte es. Eulenfeld ging nicht nur bis zum Haustor mit ihr, sondern auch treppauf. Hier, im breiten Stiegenhause, war sauberer Penatenduft auf eine Spitze getrieben, welche schon geradezu in die Nase stach: peinlich sauber. Keine Schnüre und Quasten, alles glatt. Messing blinkte in einfallender Sonne, als wär' es eben erfunden und neu hergestellt worden: man sah da erst, was so ein Beschlag oder Knauf am Treppengeländer eigentlich bedeutete, und wie er vom Erfinder des Messings gemeint
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