Die stumme Bruderschaft
räusperte sich, bevor er sprach.
»Herr, Ihr kommt als Kaiser, um von mir die Herausgabe einer heiligen Reliquie der Kirche zu verlangen. Ihr sagt, Ihr wollt Konstantinopel damit retten, aber für wie lange? Ich kann Euch nicht geben, was mir nicht gehört, das Mandylion gehört der Kirche, und folglich der gesamten Christenheit. Es wäre ein Sakrileg, wenn ich es Euch zum Verkauf geben würde. Die Gläubigen von Konstantinopel werden das nicht zulassen, sie beten das wundertätige Antlitz Christi an. Vermischt Eure irdischen Dinge nicht mit denen Gottes und Eure Interessen nicht mit denen der Christenheit. Versteht, dass ich Euch das Grabtuch nicht geben kann. Die Gläubigen werden mir nie erlauben, dass Ihr die Reliquie verkauft, so wohl behütet sie auch bei dem guten König Ludwig sein mag.«
»Ich will keine Haarspalterei betreiben, Hochwürden, aber ich bitte Euch nicht, mir das Mandylion zu übergeben, ich befehle es Euch.«
Balduin war froh, dass er den letzten Satz so bestimmt hervorgebracht hatte, und heischte wieder nach Zustimmung in den Augen von de Molesmes.
»Ich schulde Euch Respekt als Kaiser, und Ihr müsst mir als Eurem Hirten gehorchen«, antwortete der Bischof.
»Euer Bischöfliche Gnaden, ich werde nicht zulassen, dass das, was vom Reich noch übrig ist, ausblutet, nur weil Ihr die geschätzte Reliquie behalten wollt. Als Christ bedaure ich es, mich von dem Mandylion trennen zu müssen, aber jetzt ist es meine Pflicht als Kaiser zu handeln. Ich bitte Euch, mir die Reliquie zu übergeben … freiwillig.«
Beunruhigt sprang der Bischof auf und schrie: »Ihr wagt es, mir zu drohen? Ihr sollt wissen, ich werde Euch exkommunizieren, wenn Ihr Euch gegen die Kirche erhebt!«
»Wollt Ihr auch den König von Frankreich exkommunizieren, weil er das Mandylion kauft?«, erwiderte der Kaiser.
»Ich werde Euch das Grabtuch nicht übergeben. Es gehört der Kirche, und nur der Papst kann über die heiligste aller Reliquien verfügen …«
»Nein, es gehört nicht der Kirche, das wisst Ihr genau. Es gehörte dem Kaiser Romanos Lekapenos, der es aus Edessa gerettet und nach Konstantinopel gebracht hat. Es gehört dem Reich, es gehört dem Kaiser. Die Kirche war lediglich die treue Hüterin, jetzt wird sich das Reich darum kümmern.«
»Stellt Euch der Entscheidung des Papstes, wir werden ihm schreiben, Ihr werdet ihm Eure Gründe darlegen, und ich werde mich seiner Entscheidung beugen.«
Balduin zögerte. Er wusste, dass der Bischof Zeit gewinnen wollte, aber wie konnte er sich einem Vorschlag verweigern, der nur gerecht war?
Pascal de Molesmes baute sich vor dem Bischof auf und sah ihn aufgebracht an.
»Ich glaube, Hochwürden, Ihr habt den Kaiser nicht richtig verstanden.«
»Monsieur de Molesmes, ich bitte Euch, mischt Euch nicht ein!«, brüllte der Bischof.
»Ihr wollt mir den Mund verbieten? Mit welcher Autorität? Ich bin wie Ihr Untertan von Kaiser Balduin, und es ist meine Pflicht, die Interessen des Reichs zu schützen. Gebt das Mandylion zurück, das Euch nicht gehört, und wir gehen in Frieden auseinander.«
»Wie könnt Ihr es wagen, so mit mir zu sprechen! Herr, befehlt Eurem Sekretär zu schweigen!«
»Beruhigt Euch, beide«, griff Balduin ein, der sich von seinem anfänglichen Zweifel wieder erholt hatte. »Bischöfliche Gnaden, Monsieur de Molesmes hat es richtig gesagt, wir sind gekommen zu holen, was mir gehört. Ich gebe Euch noch eine Minute. Dann werde ich das Mandylion mit Gewalt beschlagnahmen lassen.«
Der Bischof eilte zur Tür und rief nach seiner Wache. Der Trupp kam sofort angelaufen.
Mutig geworden durch die Anwesenheit der Soldaten, versuchte der Bischof, seine ungebetenen Gäste loszuwerden.
»Wenn Ihr auch nur eine Faser des Grabtuchs berührt, werde ich dem Papst schreiben und ihn bitten, Euch zu exkommunizieren. Verschwindet!«, donnerte er.
Überrascht von dieser unerwarteten Reaktion rührte Balduin sich nicht von der Stelle, aber Pascal de Molesmes, ging voller Wut zur Tür, in der immer noch der Bischof stand.
»Soldaten!«, rief er.
Und ein paar Sekunden später kamen die kaiserlichen Soldaten die Treppe herauf und postierten sich zum Erstaunen der Wache des Prälaten im Zimmer.
»Wollt Ihr den Kaiser herausfordern? In diesem Falle werde ich Euch wegen Verrats festnehmen lassen, und Ihr wisst, dass darauf die Todesstrafe steht«, rief de Molesmes.
Dem Bischof lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Er wartete verzweifelt darauf, dass seine
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