Die stumme Bruderschaft
Sogar der Konflikt zwischen dem Kaiser und dem Bischof. Als der Streit um das Mandylion bekannt wurde, erreichten die Wetten astronomische Höhen. Einige wetteten, dass der Bischof die nächste Messe halten werde, andere, dass er eben das nicht tun werde und dass diese Kränkung einer Kriegserklärung des Papstes an Balduin gleichkommen werde.
Abwartend strich sich der venezianische Botschafter über den Bart, und der von Genua hatte ständig die Tür im Blick. Beiden käme es für ihre Staaten sehr gelegen, wenn der Papst den Kaiser exkommunizierte, aber würde Innozenz wagen, den König von Frankreich zu beleidigen?
Balduin kam in kaiserlichem Prunk in die Basilika. In Purpur gekleidet, begleitet von seiner Ehefrau und den treuesten Adeligen, setzte er sich auf den mit Silber und Gold verzierten Thron in der Mitte der Kirche, Pascal de Molesmes an seiner Seite. Dann ließ er den Blick über seine Untertanen schweifen. Sein Gesicht zeigte nicht die Spur von Besorgnis.
Die Minuten zogen sich in die Länge, aber da erschien Hochwürden, der Bischof von Konstantinopel. Im Bischofsgewand schritt er feierlich zum Altar. Ein Raunen ging durch die Kirche, während der Kaiser ungerührt auf seinem Thron verharrte.
Die Messe verlief ohne Zwischenfälle. Die Predigt des Bischofs war ein Aufruf zur Eintracht unter den Menschen und zur Vergebung. Der Kaiser nahm vom Bischof die Hostie entgegen, ebenso die Kaiserin und ihre Kinder, selbst der Sekretär ging zur Kommunion. Der Hof verstand die Botschaft: Die Kirche würde sich nicht gegen den König von Frankreich stellen. Als die Zeremonie vorüber war, feierte der Kaiser ein üppiges Festmahl mit Wein aus Athen. Es war ein kräftiger Wein mit einem starken Piniengeschmack. Balduin war ausgezeichneter Stimmung.
Der Comte de Dijon kam auf den Sekretär zu.
»Und, Monsieur de Molesmes, ist der Kaiser vielleicht schon zu einer Entscheidung gekommen?«
»Mein lieber Comte, in der Tat wird der Kaiser Euch in Kürze eine Antwort geben.«
»Sagt, warum muss ich noch warten?«
»Wir müssen noch einige Details klären.«
»Was für Details?«
»Seid nicht ungeduldig. Genießt das Fest und kommt morgen gegen zehn zu mir.«
»Könntet Ihr es einrichten, dass der Kaiser mich empfängt?«
»Bevor der Kaiser Euch empfängt, müssen wir beide uns unterhalten, ich bin sicher, dass wir zu einer Einigung kommen, die Euren und meinen König zufrieden stellt.«
»Ich erinnere Euch daran, dass Ihr Franzose seid wie ich und damit Ludwig verpflichtet.«
»Ach, mein guter König Ludwig! Als er mich nach Konstantinopel schickte, bat er mich inständig, seinem Neffen zu dienen wie ihm selbst.«
Die Antwort gab dem Comte de Dijon zu verstehen, dass de Molesmes in erster Linie Balduin treu war.
»Um zehn werde ich mich mit Euch treffen.«
»Ich erwarte Euch.«
Mit einer Neigung des Kopfes verabschiedete der Comte sich und suchte nach Maria, Balduins Cousine, die ihm seinen Aufenthalt in Konstantinopel bislang so angenehm gemacht hatte.
André de Saint-Remy kam aus der Kapelle, gefolgt von einer Gruppe Ritter. Sie gingen ins Refektorium, wo sie Brot und Wein zu sich nahmen.
Der Ordensobere war ein asketischer Mann, der sich von den Eitelkeiten des dekadenten Konstantinopel nicht hatte anstecken lassen. Er hatte verhindert, dass Gier und Bequemlichkeit in der Festung Einzug hielten. Es war noch nicht hell. Bevor sie an die Arbeit gingen, nahmen die Ritter ein Stück in Wein getunktes Brot zu sich. Nach diesem frugalen Mahl gingen die Tempelbrüder Bartolomé dos Capelos, Guy de Beaujeau und Roger Parker in Saint-Remys Arbeitszimmer.
Obwohl er erst wenige Minuten zuvor eingetroffen war, wartete der Ordensobere schon voller Ungeduld.
»Der Sekretär hat mir immer noch keine Nachricht geschickt, wann der Kaiser mich empfangen kann. Ich vermute, die letzten Ereignisse haben ihn auf Trab gehalten. Das Mandylion befindet sich in einer Truhe neben Balduins Bett, und heute wird de Molesmes anfangen, mit dem Comte de Dijon über den Preis zu verhandeln. Am Hof weiß man noch nichts über das Schicksal des französischen Königs, aber wir müssen davon ausgehen, dass bald ein Bote aus Damietta kommen und die schlechte Nachricht verkünden wird. Wir können nicht mehr länger auf eine Nachricht des Sekretärs warten. Wir gehen jetzt gleich in den Palast und bitten um Audienz beim Kaiser, um ihm mitzuteilen, dass sein ehrwürdiger Onkel ein Gefangener der Sarazenen ist. Ihr werdet mich
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