Die stumme Bruderschaft
fehlte nur noch die Unterschrift des Richters, höchstens noch sieben Tage, dann war er frei.
Er wusste, was er zu tun hatte. Er würde ziellos durch die Stadt streifen und darauf achten, ob ihm jemand folgte. Dann würde er ein paar Tage lang zum Carrara-Park gehen und Arslan von weitem beobachten, aber er würde das Zettelchen so lange bei sich behalten, bis er sicher war, dass niemand ihm eine Falle zu stellen versuchte.
Er fürchtete um sein Leben. Dieser Polizist, der ihn besucht hatte, war ein Eisenfresser. Er hatte ihm gedroht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit er den Rest seines Lebens im Gefängnis bleiben müsste, und jetzt kam er plötzlich einfach frei. Die Polizei hat was vor, dachte er. Vielleicht soll ich sie zu meinen Kontakten führen. Ja, das wird es sein, ich bin der Lockvogel. Ich muss vorsichtig sein.
Der Stumme lief auf und ab und merkte nicht, dass er unauffällig von zwei jungen Männern beobachtet wurde. Groß, kräftig und mit brutalen Gesichtern, Ergebnis der Erfahrungen im Gefängnis, gingen die Brüder Bajerai leise die Einzelheiten des geplanten Mordes durch.
Währenddessen unterhielt sich Marco Valoni im Büro des Gefängnisdirektors mit diesem und mit dem Chef des Wachpersonals.
»Es ist unwahrscheinlich, dass etwas passiert, aber wir sollten auf Nummer sicher gehen. Der Stumme darf in den letzten Tagen nicht aus den Augen gelassen werden«, insistierte Marco.
»Ach was, der Stumme interessiert doch keinen, es ist, als ob er gar nicht existierte, er spricht nicht, er hat keine Freunde, er hat nie zu jemandem hier Kontakt gesucht. Niemand wird ihm etwas tun, das kann ich Ihnen versichern«, sagte der Chef des Wachpersonals.
»Wir dürfen kein Risiko eingehen, das müssen Sie verstehen. Wir wissen nicht, mit wem wir es zu tun haben. Es kann ein armer Tropf sein, vielleicht aber auch nicht. Wir haben wenig Lärm gemacht, aber genug, dass irgendjemandem zu Ohren gekommen ist, dass er freikommt. Jemand muss mir für seine Sicherheit hier garantieren.«
»Aber, Marco«, sagte der Gefängnisdirektor, »Abrechnungen und Tötungsdelikte unter Gefangenen oder Ähnliches hat es in diesem Gefängnis noch nie gegeben, ich kann Ihre Sorgen wirklich nicht nachvollziehen.«
»Ich mache mir aber Sorgen. Signor Genari, Sie als Chef des Wachpersonals, wissen doch sicherlich, wer hier die Anführer sind. Ich will die Leute sprechen.«
Genari hob abwehrend die Arme. Dieser Polizist war nicht davon zu überzeugen, dass er seine Nase nicht in die interne Struktur des Gefängnisses zu stecken hatte. Und ausgerechnet er, Genari, sollte ihm sagen, wer das Sagen hatte, als könnte er das, ohne Kopf und Kragen zu riskieren.
Marco spürte Genaris Vorbehalte und versuchte, seine Bitte anders zu formulieren.
»Also, Genari, es muss hier doch jemanden geben, vor dem die anderen Gefangenen Respekt haben. Bringen Sie ihn mir her.«
Der Gefängnisdirektor rutschte nervös auf dem Schreibtischstuhl herum, während Genari trotzig schwieg. Am Ende griff er zugunsten von Marco ein.
»Genari, Sie kennen dieses Gefängnis wie kein anderer, es muss doch so jemanden geben, wie Signor Valoni sagt, schaffen Sie ihn her.«
Genari stand auf. Er wusste, dass er den Bogen nicht überspannen durfte, um keinen Verdacht bei seinem Vorgesetzten und diesem neugierigen Polizisten aus Rom zu erwecken. Sein Gefängnis funktionierte wunderbar, es gab ein paar ungeschriebene Regeln, und jetzt wollte dieser Valoni wissen, wer die Fäden zog.
Er schickte einen Angestellten, um den Anführer zu holen, Frasquello. Um diese Zeit würde er gerade seinen Söhnen per Handy Anweisungen geben. Er war wegen Drogenschmuggels im Gefängnis gelandet, nachdem ihn jemand verpfiffen hatte.
Frasquello betrat mit finsterer Miene das kleine Büro des Chefs des Wachpersonals.
»Was wollen Sie? Warum stören Sie mich?«
»Da ist ein Polizist, der unbedingt mit Ihnen sprechen will.«
»Ich rede nicht mit Polizisten.«
»Mit dem werden Sie reden müssen, sonst stellt der uns das ganze Gefängnis auf den Kopf.«
»Ich habe nichts davon, mit dem Mann zu reden. Wenn Sie ein Problem haben, lösen Sie es. Aber lassen Sie mich in Ruhe.«
»Nein, das werde ich nicht!«, schrie Genari. »Sie werden jetzt mit mir zu diesem Polizisten gehen und mit ihm sprechen. Je schneller die Angelegenheit vom Tisch ist, umso früher wird er gehen und uns in Ruhe lassen.«
»Was will der Bulle? Warum will er ausgerechnet mit mir sprechen? Ich kenne keinen
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