Die stumme Bruderschaft
Umberto D’Alaqua untergekommen. Dieser Mann muss gute Beziehungen zum Kardinal von Turin haben und natürlich auch zum Vatikan. Übrigens ist er Junggeselle.«
»Gut, schick alles per Mail, dann kann Marco es lesen, wenn er wieder hier ist.«
»Wie lange bleibt ihr in Turin?«
»Keine Ahnung. Marco hat nichts gesagt. Er will persönlich mit einigen Leuten sprechen, die in der Kathedrale waren, bevor das Feuer ausbrach. Er will auch mit dem Stummen sprechen, der von dem versuchten Diebstahl vor zwei Jahren. Und mit den Arbeitern und dem Personal des Bischofssitzes. Ich denke, wir werden drei oder vier Tage bleiben, aber wir melden uns bei dir.«
Sofia beschloss, in die Kathedrale zu gehen und mit Marco zu sprechen. Sie wusste, dass ihr Chef lieber allein war, sonst hätte er Pietro, Giuseppe oder Antonino gebeten, ihn zu begleiten. Aber er hatte jedem einen eigenen Auftrag erteilt.
Sie arbeiteten schon seit vielen Jahren zusammen. Die vier wussten, dass Marco ihnen vertraute. Pietro und Giuseppe waren zwei gute Spürhunde, zwei unbestechliche Carabinieri; Antonino und sie waren promovierte Kunsthistoriker; und Minerva surfte im Internet. Alle zusammen bildeten sie den Kern von Marcos Team. Es gab noch mehr Kollegen, aber ihnen vertraute Marco am meisten, und über die Jahre hatten sie sich angefreundet. Sofia war sich bewusst, dass sie mehr Zeit im Dezernat als zu Hause verbrachte. Na ja, es wartete ja auch niemand auf sie, sie war nicht verheiratet. Sie tröstete sich mit der Erklärung, sie habe einfach keine Zeit gehabt, erst das Studium, die Promotion, dann ihre Aufnahme in das Dezernat für Kunstdelikte, die Reisen. Sie war gerade vierzig geworden, und ihr Gefühlsleben war ein Desaster, da machte sie sich nichts vor: Hin und wieder schlief sie mit Pietro, aber der würde sich nie von seiner Frau trennen, und sie war sich auch nicht sicher, ob sie das überhaupt gewollt hätte.
Es war gut, so wie es war. Auf Dienstreisen teilten sie das Zimmer. Hin und wieder gingen sie nach der Arbeit zusammen essen. Und manchmal brachte Pietro sie nach Hause, wo sie einen Drink nahmen, aßen, miteinander ins Bett gingen, und um zwei oder drei Uhr morgens stand Pietro leise auf und verschwand.
Sie versuchten ihr Verhältnis im Büro möglichst geheim zu halten, aber Antonino, Giuseppe und Minerva wussten davon, und Marco hatte einmal zu ihnen gesagt, sie seien alt genug und könnten tun und lassen, was sie wollten, er erwarte nur, dass die persönlichen Dinge weder dem Team noch der Arbeit schadeten.
Pietro und sie waren sich einig, dass sie etwaige Meinungsverschiedenheiten nicht in das Team tragen durften, schon darüber reden war tabu. Bis jetzt hatten sie sich daran gehalten, aber es hatte auch nur kleine Streits gegeben, wegen irgendwelcher Nichtigkeiten, nichts, was sie nicht hätten klären können. Sie beide wussten, dass nie etwas anderes aus dieser Beziehung werden würde, und sie hatten folglich auch keine Erwartungen aneinander.
»Chef …«
Marco drehte sich erschrocken um, als er Sofias Stimme hörte. Er saß ein paar Meter von der Vitrine entfernt, in der das Grabtuch aufbewahrt wurde. Er lächelte und fasste sie am Arm, damit sie sich zu ihm setzte.
»Es ist beeindruckend, nicht wahr?«
»Ja, wirklich, und das, obwohl es nicht echt ist.«
»Nicht echt? Das würde ich nicht so einfach sagen. Das Grabtuch hat etwas Geheimnisvolles, das die Wissenschaftler bis heute nicht endgültig geklärt haben. Die NASA hat festgestellt, dass das Bild des Mannes dreidimensional ist. Manche Wissenschaftler behaupten, das Bild sei das Ergebnis einer der Wissenschaft bislang unbekannten Strahlung. Andere sagen, bei den Spuren handele es sich um Blutreste.«
»Marco, du weißt genau, dass die C-14-Methode eindeutig ist. Doktor Tite und die Labors, die an der Datierung des Grabtuchs mitgewirkt haben, können sich keine Fehler erlauben. Das Tuch stammt aus dem dreizehnten oder vierzehnten Jahrhundert, aus dem Zeitraum zwischen 1260 und 1390, das haben drei verschiedene Laboratorien festgestellt. Die Fehlerwahrscheinlichkeit liegt bei fünf Prozent. Die Kirche hat das Testergebnis anerkannt.«
»Aber damit ist immer noch nicht geklärt, wie das Bild auf dem Tuch entstanden ist. Vergiss nicht, dass man auf den dreidimensionalen Fotos einige Worte erkennen konnte. Um das Gesicht herum steht dreimal INNECE.«
»Ja, ›zum Tode verurteilt‹.«
»Und auf einer Seite sind, von oben nach unten, mehrere Buchstaben
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