Die stumme Bruderschaft
Überdruss erzählt.«
»Ja, das stimmt, aber das Neue ist, dass wir hier ein paar Leute haben, die aus Urfa kommen und in irgendeiner Beziehung zu dem Grabtuch stehen«, sagte Marco.
»Ach ja? Das musst du mir erklären?«, verlangte Pietro.
»Du bist ein viel zu guter Polizist, als dass ich dir das erklären müsste, aber wenn du unbedingt willst … Turgut stammt aus Urfa, er ist der Hausmeister der Kathedrale, er war am Tag des Brandes da, wie bei allen anderen Vorfällen auch. Seltsamerweise hat er nie etwas gesehen. Wir haben einen Stummen, der versucht hat, in der Kirche zu stehlen. Es ist nur eigenartig, dass er nicht der einzige Stumme ist, der uns über den Weg gelaufen ist. Vor ein paar Monaten ist einer verbrannt, und in der Geschichte des Grabtuchs gab es weitere Brände und weitere Stumme. Und zwei Brüder türkischer Herkunft, seltsamerweise wieder aus Urfa, wollten unseren Stummen töten. Warum? Ich will, dass ihr, du und Giuseppe, morgen zu dem Hausmeister geht. Sagt ihm, die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen und ihr wolltet noch einmal mit ihm reden. Fragt ihn, ob er sich nicht doch an irgendein Detail erinnert.«
»Er wird sich furchtbar aufregen. Schon bei der ersten Befragung hat er fast angefangen zu heulen«, sagte Giuseppe.
»Genau deshalb. Er scheint mir das schwächste Glied zu sein. Ah! Wir müssen um richterliche Genehmigung bitten, die Telefone dieser sympathischen Freunde aus Urfa abhören zu dürfen.«
Minerva kam mit Sofia im Schlepptau zurück. Sie warfen Pietro einen unfreundlichen Blick zu und setzten sich. Als die Bar gegen drei Uhr geschlossen wurde, diskutierten Marco und sein Team immer noch. Sofia war auch der Ansicht, dass man die Spur nach Urfa verfolgen solle. Antonino und Minerva ebenso. Giuseppe war skeptisch, stellte aber die Argumente seiner Kollegen nicht in Frage, während Pietro seinen Missmut nicht verbergen konnte.
Sie gingen mit der Überzeugung schlafen, dass sie kurz vor dem Ziel waren.
Der alte Mann wachte auf. Das Brummen des Handys hatte ihn aus tiefem Schlaf gerissen. Es waren kaum zwei Stunden her, dass er zu Bett gegangen war. Der Herzog war ausgezeichneter Stimmung gewesen und hatte sie erst nach Mitternacht gehen lassen. Das Essen war hervorragend und die Unterhaltung amüsant gewesen, wie es sich für Herren ihres Alters und ihrer Stellung gehörte, wenn sie ohne Damenbegleitung waren.
Er ging nicht dran, als er auf dem Display die New Yorker Nummer sah. Er wusste, was er zu tun hatte. Er stand auf, schlüpfte in seinen weichen Kaschmirmorgenmantel und ging in sein Büro. Dort schloss er die Tür ab und drückte einen verborgenen Knopf an seinem Schreibtisch. Minuten später telefonierte er über die abhörsichere Anlage.
Die Information war höchst beunruhigend: Das Dezernat für Kunstdelikte war nahe an der Gemeinschaft und an Addaio dran, auch wenn sie von der Existenz des Hirten noch nichts wussten.
Addaios Plan, Mendibj zu eliminieren, war gescheitert, und jetzt wurde dieser wirklich zum Trojanischen Pferd.
Aber das war noch nicht alles. Valonis Team hatte der Phantasie freien Lauf gelassen, und die Dottoressa Galloni war zu Thesen gelangt, die der Wahrheit sehr nahe kamen, auch wenn sie es selbst nicht ahnte. Und die überbordende, romanhafte Phantasie der Journalistin wurde ebenfalls langsam zu einer Gefahr für die Gemeinschaft.
Als er das Büro verließ, wurde es schon hell. Er kehrte in sein Zimmer zurück und bereitete sich vor. Auf ihn wartete ein langer Tag. In vier Stunden würde er an einer wichtigen Versammlung teilnehmen. Es würden alle teilnehmen, auch wenn ihm das improvisierte Treffen und die Tatsache, dass sie Leuten mit erfahrenem Blick auffallen könnten, Bauchschmerzen bereiteten.
41
Es war schon spät am Abend, als Jacques de Molay, Großmeister des Templerordens, im Schein der Kerzen den Bericht von Ritter Pierre Berard aus Vienne las, der ihn über die Einzelheiten des Konzils informierte.
Das Gesicht des Großmeisters war von Falten gezeichnet. Das ständige Wachsein hatte Spuren hinterlassen. Sein Blick war müde.
Es waren schlechte Zeiten für die Templer.
Gegenüber von Villeneuve du Temple, der riesigen befestigten Anlage, erhob sich majestätisch der königliche Palast, in dem Philipp von Frankreich seinen großen Schlag gegen den Orden vorbereitete. Die Truhen des Reichs waren leer, und Philipp war einer der größten Schuldner des Ordens – es hieß, er bräuchte zehn Leben, um das
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