Die stumme Bruderschaft
Gold zurückzuzahlen, das er sich geliehen hatte.
Aber Philipp IV. hatte gar nicht die Absicht, seine Schulden zu zahlen. Er hatte ganz andere Pläne: Er wollte den Besitz des Ordens übernehmen, auch wenn er einen Teil des Vermögens mit der Kirche würde teilen müssen.
Er hatte die Johanniter auf seine Seite zu bringen versucht, in dem er ihnen Anwesen und Villen versprach, wenn sie ihn bei seinem niederträchtigen Feldzug gegen die Templer unterstützten. Und im Dunstkreis von Papst Clemens gab es viele einflussreiche Geistliche, die er bezahlte, damit sie beim Papst gegen die Templer intrigierten. Zuletzt hatte Philipp durch die erkaufte falsche Aussage von Esquieu de Floryan die Templer noch weiter in die Enge getrieben.
Der König war zwar von Jacques de Molay beeindruckt, er bewunderte ihn insgeheim für seine Tapferkeit, seine Redlichkeit und seinen Edelmut: Der Großmeister besaß all die Tugenden, die er selbst nicht hatte, und er konnte seinen reinen Blick nicht ertragen. Aber gerade deswegen würde er nicht ruhen, bis er ihn auf dem Scheiterhaufen brennen sah.
Seit Philipp mit Papst Clemens in Poitiers gesprochen hatte, befanden sich die Schätze der Templer in der Obhut des französischen Königs. Jetzt wartete der Großmeister ungeduldig auf die Entscheidung des Konzils von Vienne. Philipp war persönlich aufgetaucht, um Clemens und das Kirchentribunal unter Druck zu setzen. Er wollte nicht nur verwalten, was ihm nicht gehörte, er wollte es vielmehr ganz für sich, und das Konzil von Vienne war für ihn die Gelegenheit, dem Templerorden den Todesstoß zu versetzen.
Als Jacques de Molay den Bericht zu Ende gelesen hatte, rieb er sich die geröteten Augen und holte einen Bogen Pergament. Eine Weile fuhr die spitze Feder über das Papier. Als er fertig war, rief er zwei der treuesten Ritter, Beltrán de Santillana und Geoffroy de Charney zu sich.
Beltrán de Santillana entstammte einer vornehmen Familie aus den kantabrischen Bergen, er war groß und stark, und er liebte das Schweigen und die Meditation. Er trat schon mit achtzehn Jahren in den Orden ein und kämpfte im Heiligen Land, noch bevor er das Ordensgelübde abgelegt hatte. Dort hatte er de Molay das Leben gerettet, indem er ihn mit seinem Körper schützte, als ein Sarazenenschwert ihm die Kehle durchzuschneiden drohte. Von dieser Heldentat behielt Santillana auf dem Brustkorb in der Nähe des Herzens eine lange Narbe zurück.
Geoffroy de Charney war Visitator des Ordens in der Normandie, ein energischer Templer, dessen Familie dem Orden schon zuvor Ritter geschenkt hatte wie seinen Onkel François de Charney. Jacques de Molay vertraute Geoffroy de Charney wie sich selbst. Sie hatten zusammen in Ägypten und an der Festung von Tortosa gekämpft.
Diese beiden also hatte der Großmeister für die heikelste Aufgabe ausgewählt.
Ritter Pierre Berard hatte ihm in seiner Botschaft mitgeteilt, dass Clemens kurz davor stand, Philipps Ansinnen nachzugeben. Die Tage des Ordens waren gezählt, das Konzil von Vienne würde das Verbot des Ordens beschließen. Eile war geboten, der Großmeister musste retten, was dem Orden noch geblieben war.
Beltrán de Santillana und Geoffroy de Charney betraten das Arbeitszimmer des Großmeisters. In der Ferne war das lärmende Pariser Volk zu hören. Jacques de Molay bat sie, Platz zu nehmen. Das Gespräch würde dauern, denn es gab viel zu bereden.
»Beltrán, Ihr müsst dringend nach Portugal reisen. Unser Bruder Pierre Berard hat mich informiert, dass der Papst uns bald den Prozess machen wird. Es ist noch zu früh, um sagen zu können, welches Schicksal dem Orden in anderen Ländern bevorsteht, aber in Frankreich ist es besiegelt. Ich hatte zuerst daran gedacht, Euch nach Schottland zu schicken, da der König Robert Bruce exkommuniziert ist und die Anordnungen des Papstes ihm nichts anhaben können. Aber ich vertraue auf den guten König Dionis von Portugal, der mir garantiert hat, den Orden zu schützen. König Philipp hat uns vieles genommen. Aber es sind nicht das Gold oder die Ländereien, die mir Sorgen bereiten, sondern es ist unser großer Schatz, der wahre Schatz des Templerordens: das Grabtuch Christi. Seit Jahren haben die christlichen Könige den Verdacht, dass es sich in unserem Besitz befindet, und sie wollen es zurück, weil sie glauben, das Tuch habe magische Kräfte und mache den, der es besitzt, unverwundbar.
Wir haben das Geheimnis immer bewahren können und so muss es auch bleiben.
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