Die stumme Bruderschaft
wenigen Tagen würden sie verhaftet, und sie mussten sich auf das Schlimmste gefasst machen: Vor dem Tod drohten ihnen Verleumdung und Folter.
Man klagte sie an, den Teufel anzubeten und einen Götzen namens Baphomet. Die Festung von Villeneuve du Temple war kein heiliger, uneinnehmbarer Ort mehr. Die Soldaten des Königs hatten alles beschlagnahmt, doch zu Philipps Erbitterung war von dem großen Templerschatz nichts zu finden gewesen. Er konnte ja nicht wissen, dass Jacques de Molay seit Monaten alles Gold auf verschiedene Komtureien verteilt hatte und dass der größte Teil des Schatzes sich mittlerweile in Schottland befand, wohin de Molay auch die geheimen Dokumente hatte überführen lassen. In Villeneuve war fast nichts mehr, und das hatte den König noch mehr gegen die Templer aufgebracht.
Am Tag nach Geoffroy de Charneys Rückkehr erschien ein Gesandter von Philipp, der Comte de Champagne, in der Festung der Templer und wollte den Großmeister sprechen. Jacques de Molay empfing ihn ruhig und selbstsicher.
»Ich komme im Namen des Königs.«
»Davon gehe ich aus. Deswegen sah ich mich gezwungen, Euch zu empfangen.«
Der Großmeister blieb stehen und bot auch seinem Gegenüber keinen Platz an. Der Comte de Champagne war eingeschüchtert von der Würde de Molays.
»Eure Majestät will Euch einen Handel anbieten: Euer Leben für das Grabtuch Christi. Der König ist sich sicher, dass die Reliquie im Besitz des Templerordens ist, das glaubte schon der heilige König Ludwig. Im königlichen Archiv gibt es dementsprechende Dokumente, Berichte von unserem Botschafter in Konstantinopel, vertrauliche Mitteilungen von Balduin an seinen Onkel, vielfache Berichte unserer Spione. Wir wissen, dass Ihr das Grabtuch versteckt haltet.«
Jacques de Molay hörte sich die Rede ungerührt an. Im Stillen dankte er Gott, dass er dafür gesorgt hatte, dass die Reliquie rechtzeitig an einen sicheren Ort kam, sie müsste jetzt schon in Castro Marim unter dem Schutz des guten José Sa Beiro sein. Als der Comte geendet hatte, antwortete der Großmeister ihm barsch:
»Ich versichere Euch, dass ich die Reliquie nicht habe, von der Ihr sprecht, aber seid gewiss, dass, selbst wenn es so wäre, ich sie nicht gegen mein Leben eintauschen würde. Der König sollte nicht von sich auf andere schließen.«
Der Comte de Champagne errötete, als er die an Philipp gerichtete Beleidigung vernahm.
»Monsieur de Molay, der König zeigt Euch seine Großherzigkeit und will Euch das Leben schenken, da Ihr etwas habt, das der Krone, Frankreich und der gesamten Christenheit gehört.«
»Gehört? Erklärt mir, wieso es König Philipp gehören soll.«
Der Comte de Champagne konnte seinen Zorn kaum noch zügeln.
»Ihr wisst genauso gut wie ich, dass der heilige König Ludwig einst große Mengen Gold an seinen Neffen Kaiser Balduin geschickt und dieser ihm dafür Reliquien überlassen hat. Und Ihr wisst ebenso, dass der Comte de Dijon an Balduins Hof war, um über den Verkauf des dort Mandylion genannten Tuchs zu verhandeln, und dass der Kaiser damals zugestimmt hat.«
»Der Handel unter Königen geht mich nichts an. Mein Leben gehört Gott, der König kann es mir nehmen, aber es gehört Gott. Geht und sagt Philipp, dass ich die Reliquie nicht habe und dass, selbst wenn ich sie hätte, ich sie für nichts eintauschen würde. Ehrlosigkeit ist mir fremd.«
Stunden später wurden Jacques de Molay, Geoffroy de Charney und die in Villeneuve du Temple noch verbliebenen Templer verhaftet und in die Kerker des Palastes gebracht.
Philipp von Frankreich, bekannt als Philipp der Schöne, befahl den Henkern, die Tempelritter grausam zu foltern, insbesondere den Großmeister, dem sie entlocken sollten, wo sich die heilige Reliquie mit dem Antlitz Christi verbarg.
Die Schreie der Gefolterten prallten an den dicken Kerkermauern ab. Wie viele Tage waren seit ihrer Verhaftung vergangen? Die Templer hatten jegliches Zeitgefühl verloren, einige beichteten Verbrechen, die sie nicht begangen hatten, in der Hoffnung, der Henker würde sie von der Streckbank nehmen und aufhören, ihre Füße mit glühendem Eisen zu verbrennen und ihnen die Haut vom Körper zu ziehen und diesen dann mit Essig zu besprengen. Aber alles war vergebens, die Henker machten unerbittlich weiter.
Ein paar Tage später kam ein verhüllter Mann in die Verliese und beobachtete von einem dunklen Winkel aus das Leiden der Ritter, die einst ihr Schwert und ihre Seele eingesetzt hatten, um
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