Die stumme Bruderschaft
waren.
Sie ging direkt ins Hotel. Es kostete mehr, als sie eigentlich ausgeben wollte, aber sie gönnte sich den Spaß, im Dorchester zu schlafen wie eine Prinzessin. Außerdem glaubte sie, dass sie in einem guten Hotel sicherer war, denn sie hatte das Gefühl, überwacht zu werden. Wahrscheinlich war das alles nur Einbildung, sagte sie sich. Vielleicht waren es aber auch Leute vom Dezernat für Kunstdelikte, die wissen wollten, ob sie eine Spur hatte. Wie auch immer, in einem Luxushotel war sie sicherer.
Sie bestellte ein Sandwich und einen Salat aufs Zimmer. Sie wollte so bald wie möglich zu Bett gehen.
Die vom Dezernat für Kunstdelikte mochten denken, was sie wollten, sie war sich jedenfalls sicher, dass die Templer dem armen Balduin das Grabtuch abgekauft hatten. Aber wie war das Grabtuch in dieses französische Dorf gekommen, nach Lirey?
Sie hoffte, dass Professorin Marchais ihr würde erklären können, was der gute Professor McFadden offensichtlich nicht erklären wollte. Warum hatte er auf die Frage, ob die Templer je in Besitz des Grabtuchs gewesen waren, so gereizt reagiert und sie aufgefordert, sich strikt an die Tatsachen zu halten? Ihm zufolge gab es kein Dokument, keine Quelle, die diese verrückte Theorie bestätigten. Trotzdem habe man den Templern alle möglichen Geheimnisse angedichtet, worüber er als Historiker sich ärgere.
Sie schlief schlecht. Wie so oft in letzter Zeit hatte sie einen Alptraum. Es war, als wollte eine seltsame Kraft sie um jeden Preis in die Vergangenheit zurückversetzen, um sie an Szenen voller Schrecken teilhaben zu lassen. Sie war an jenem 19. März 1314 auf dem Vorplatz von Notre Dame dabei, sie saß in der ersten Reihe und sah Jacques de Molay und Geoffroy de Charney mit anderen Rittern auf dem Scheiterhaufen brennen. Der Großmeister warf ihr einen unerbittlichen Blick zu.
»Verschwinde oder Gottes Gericht wird über dich kommen.«
Wieder wachte sie schweißgebadet und voller Panik auf. Der Großmeister wollte nicht, dass sie weiterforschte. Sie würde sterben, wenn sie das täte, da war sie sich auf einmal ganz sicher.
Den Rest der Nacht konnte sie nicht mehr einschlafen. Ihr Schicksal war besiegelt, aber sie würde nicht aufgeben. Sosehr sie Jacques de Molay auch fürchtete, so deutlich ihr war, dass er nicht wollte, dass sie die Wahrheit erführe, es gab kein Zurück mehr.
Der Hirte Bakkalbasi war zusammen mit Ismet, dem Neffen Francesco Turguts, des Hausmeisters der Kathedrale, nach Turin geflogen. Andere Mitglieder der Gemeinschaft würden ihnen folgen, aus Deutschland, aus anderen Orten Italiens, und natürlich aus Urfa.
Auch Addaio, da war sich Bakkalbasi sicher. Keiner wusste, wo er sich versteckte, aber er würde sie überwachen, jede ihrer Bewegungen kontrollieren und die Operation über Handy steuern. Mendibj musste sterben und auch Turgut, wenn er sich nicht beruhigte, es ging nicht anders.
Die Polizei war um ihre Häuser in Urfa herumgestrichen, und das war ein Zeichen, dass dieses Dezernat für Kunstdelikte mehr wusste, als ihnen lieb war.
Ein Cousin, der im Polizeipräsidium von Urfa arbeitete und ein treues Mitglied ihrer Gemeinschaft war, hatte sie von dem plötzlichen Interesse von Interpol an Türken, die aus Urfa nach Italien ausgewandert waren, informiert. Man hatte ihnen nicht gesagt, worum es dabei eigentlich ging, aber man hatte komplette Berichte über mehrere Familien angefordert, die allesamt Mitglieder der Gemeinschaft waren.
Da waren alle Alarmglocken angegangen, und Addaio hatte sogar einen Nachfolger bestimmt für den Fall, dass ihm etwas zustieß. Innerhalb der Gemeinschaft gab es eine Gruppierung, die noch mehr im Verborgenen agierte. Sie würde den Kampf fortsetzen, wenn die anderen fielen, und sie würden fallen, das sagte Bakkalbasi der Druck, den er im Magen verspürte.
In Turin hatten sie sich unverzüglich zu Turguts Wohnung begeben. Als Turgut die Tür öffnete, schrie er entsetzt auf.
»Beruhige dich! Warum schreist du? Willst du das gesamte Bistum aufwecken?«, zischte Bakkalbasi ihn an.
Sie gingen in die Wohnung, und nachdem Turgut sich einigermaßen beruhigt hatte, berichtete er von den letzten Neuigkeiten:
Er wurde überwacht, seit dem Tag des Brandes. Und dieser Pater Yves sah ihn immer so merkwürdig an … Er war freundlich, das ja, aber etwas in seinem Blick sagte ihm, dass er vorsichtig sein musste, sonst würde er sterben, da war er sich sicher.
Sie tranken Kaffee und Bakkalbasi gab Ismet die
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