Die stumme Bruderschaft
das Kreuz zu verteidigen. Es war König Philipp, krank vor Gier und Grausamkeit, der sich an den Qualen der Gefolterten ergötzte. Er gab dem Henker Zeichen, bloß nicht nachzulassen.
Eines Abends bat der Verhüllte, Jacques de Molay zu ihm zu bringen. Der Großmeister konnte kaum noch sehen, aber er ahnte, wer sich hinter der Maske verbarg. Er blieb standhaft, und auf seinen Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab, als der König ihn aufforderte zu sagen, wo das Grabtuch Christi ist.
Philipp begriff, dass es vergeblich war, die Folter fortzusetzen. Dieser Mann würde sterben, ohne dass ein Wort über seine Lippen kam. Es blieb ihm nur noch die öffentliche Hinrichtung, die Welt sollte wissen, dass der Templerorden auf alle Ewigkeit geächtet war.
Am 18. März im Jahre des Herrn 1314 wurde das Todesurteil gegen den Großmeister und die Templer unterzeichnet, die die endlose Folter überlebt hatten.
Und der 19. März war ein Festtag für Paris, denn der König hatte einen Scheiterhaufen errichten lassen, auf dem Jacques de Molay und die Seinen brennen sollten. Adelige und das gemeine Volk würden dem Spektakel beiwohnen, und auch der König würde es sich nicht entgehen lassen.
Bei Sonnenaufgang füllte sich der Platz mit Neugierigen, die sich prügelten, um einen Platz zu ergattern, von dem aus man das letzte Leiden der einst so stolzen Ritter gut verfolgen konnte.
Jacques de Molay und Geoffroy de Charney wurden auf demselben Wagen gebracht. Sie wussten, in wenigen Minuten würden sie verbrennen und danach allen Schmerzen für immer entronnen sein.
Der Hof hatte sich herausgeputzt, der König scherzte mit den Damen. Er, Philipp, hatte den Templerorden bezwungen. Seine Heldentat würde in die Geschichte der Niedertracht eingehen.
Das Feuer erfasste die geschundenen Leiber der Templer. Jacques de Molay blickte dem König fest ins Auge, und dieser und das versammelte Volk von Paris konnten hören, wie de Molay seine Unschuld beteuerte und den König von Frankreich und Papst Clemens dem Gericht Gottes unterstellte.
Philipp lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Er zitterte vor Angst und musste sich in Erinnerung rufen, dass er der König war und dass ihm nichts passieren konnte, weil er mit Zustimmung des Papstes und der höchsten kirchlichen Würdenträger handelte.
Nein, Gott konnte nicht auf Seiten der Templer sein, dieser Ketzer, die Baphomet huldigten, Sodomie trieben und, wie alle Welt wusste, mit den Sarazenen kungelten. Er, Philipp, erfüllte nur die Gebote der Kirche, und er ging auch an den Feiertagen immer in die Messe.
Ja, er, Philipp, König von Frankreich, lebte nach den Regeln der Kirche, aber lebte er auch nach den Gesetzen Gottes?
»Sind Sie fertig?«
»Huch, haben Sie mich erschreckt! Ich las gerade etwas über die Exekution von Jacques de Molay. Da stehen einem ja die Haare zu Berge. Ich wollte Sie fragen, was es mit dem Gericht Gottes auf sich hat.«
Professor McFadden sah sie gelangweilt an. Ana Jiménez schnüffelte seit Tagen in den Archiven herum und stellte ihm manchmal ausgesprochen dumme Fragen.
Sie war klug, aber in vielen Dingen unwissend, und er musste ihr ein paar grundlegende Geschichtslektionen erteilen. Die junge Frau wusste wenig über die Kreuzzüge und die unruhige Welt im 12., 13. und 14. Jahrhundert. Aber er machte sich nichts vor, es mangelte ihr vielleicht an Wissen, aber dafür verfügte sie über ein gerüttelt Maß an Intuition. Sie suchte und suchte, und sie wusste, wo sie fündig werden konnte. Es genügte ein Satz, ein Wort, ein Ereignis – und schon hatte sie eine neue Spur.
Er war vorsichtig gewesen und hatte versucht, sie von den Informationen abzulenken, die in den Händen einer Journalistin gefährlich werden konnten.
Er rückte seine Brille zurecht und fing an, ihr zu erklären, was es mit dem Gericht Gottes auf sich hatte. Ana Jiménez hörte ihm erstaunt zu und erzitterte leicht, als der Professor in dramatischem Ton die Voraussagen Jacques de Molays wiedergab.
»Papst Clemens starb nach vierzig Tagen, Philipp der Schöne nach acht Monaten. Ihr Tod war schrecklich. Gott hat Gerechtigkeit walten lassen.«
»Das freut mich für Jacques de Molay.«
»Wie?«
»Der Großmeister gefällt mir. Ich denke, er war ein guter und gerechter Mann und dieser Philipp der Schöne ein Schuft. Also freue ich mich, dass Gott hat Gerechtigkeit walten lassen. Nur schade, dass er das nicht immer tut. Aber steckten nicht womöglich die Templer hinter diesen
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