Die stumme Bruderschaft
um sie auszuführen, sobald er wüsste, dass Izaz in Sicherheit war.
In Begleitung seiner beiden Diener ging er in den Tempel, wo seine Freunde beteten. Er suchte sich einen Platz fern von den Blicken der Leute.
Izaz erkannte den Alten im Halbdunkel. Er nutzte den Moment, in dem Thaddäus und Josar ihn aufforderten, ihnen zu helfen, das Brot und den Wein unter den Gläubigen zu verteilen, um auf Marcius zuzugehen. Dieser gab ihm ein sorgsam gefaltetes Stück Pergament, das Izaz zwischen den Falten seiner Tunika verschwinden ließ. Dann suchte er mit dem Blick einen großen kräftigen Mann, der auf sein Zeichen zu warten schien. Izaz verschwand unauffällig aus dem Tempel, und gefolgt von dem Koloss machte er sich eilig auf den Weg zu dem Platz, wo die Karawanen lagerten.
Senins Karawane war bereit. Harran, der Mann, den Senin beauftragt hatte, die Karawane nach Sidon zu bringen, wartete schon ungeduldig. Er wies Izaz und dem Koloss namens Obodas ihren Platz zu und gab den Befehl aufzubrechen.
Erst im Morgengrauen faltete Izaz das Stück Pergament auseinander, auf dem der Architekt ihm in zwei knappen Zeilen mitteilte, wo das Grabtuch versteckt war. Er zerriss das Pergament und verstreute die Fetzen in der Wüste.
Obodas hatte ein genaues Auge auf den Jungen und seine Umgebung. Er hatte Anweisung von Senin, das Leben des Jungen mit seinem eigenen zu schützen.
Erst drei Nächte später befanden Harran und Obodas, dass sie weit genug von Edessa weg waren, um eine kurze Ruhepause einzulegen und eine Botschaft an Senin zu schicken: Sie bräuchten noch drei Tage, dann sei Izaz in Sicherheit.
Abgarus rang mit dem Tod. Die Königin ließ Thaddäus und Josar rufen, um ihnen zu sagen, dass es eine Frage von Stunden, vielleicht auch nur von Minuten sei, bis das Leben des Königs erlosch. Er erkannte nicht einmal mehr sie.
Es waren zehn Tage vergangen, seit Abgarus im selben Zimmer seine Freunde versammelt hatte, um mit ihnen bis zum Einbruch der Nacht zu sprechen. Jetzt war der König ein regloser Körper, er öffnete die Augen nicht mehr, und nur ein schwacher Atem zeugte davon, dass noch ein letzter Rest Leben in ihm war.
Maanu entfernte sich nicht vom Palast und wartete voller Ungeduld auf Abgarus’ Tod. Die Königin ließ ihn nicht bis in das königliche Gemach vor, aber das machte nichts, denn er hatte eine junge Sklavin bestochen und ihr die Freiheit versprochen, wenn sie ihm erzählte, was darin vor sich ging.
Die Königin wusste, dass sie bespitzelt wurde, und als Josar und Thaddäus eintrafen, schickte sie alle Diener hinaus und sprach ganz leise. Sie lächelte erleichtert, als sie hörte, dass das heilige Tuch in Sicherheit war. Sie versprach, ihnen umgehend mitzuteilen, wenn Abgarus gestorben wäre. Sie würde Ticius schicken, einen Schreiber, der sich dem Christentum angeschlossen hatte und loyal war. Bewegt nahmen sie Abschied, denn sie wussten, dass sie sich in diesem Leben nicht mehr wiedersehen würden. Die Königin bat die beiden, sie zu segnen und für sie zu beten, damit sie die Kraft habe, dem Tod gegenüberzutreten, zu dem ihr Sohn Maanu sie verurteilt hatte.
Die Augen voller Tränen schaffte Josar es nicht, sich von der Königin zu verabschieden. Sie war immer noch eine wunderschöne Frau. Sie drückte seine Hand und umarmte ihn, und ihr Gesicht sagte, dass sie wusste, wie sehr er sie geliebt hatte, und wie sehr sie ihn als treuesten ihrer Freunde schätzte.
Drei Tage währte der Todeskampf noch. Der Palast war in tiefdunkle Nacht gehüllt, nur die Königin wachte am Bett des Königs. Plötzlich öffnete er die Augen und lächelte sie dankbar an, den Blick voller Liebe und Zärtlichkeit. Und dann verschied er in Frieden mit sich selbst und mit Gott. Die Königin drückte fest seine Hand. Dann schloss sie sanft seine Augen und küsste ihn auf den Mund. Sie gestattete sich noch ein paar Minuten, um zu beten und Gott zu bitten, Abgarus bei sich aufzunehmen.
Leise huschte sie über die dunklen Flure zu einem Zimmer, in dem seit ein paar Tagen Ticius, der königliche Schreiber, untergebracht war. Er schlief, aber er erwachte sofort, als er die Hand der Königin auf seiner Schulter spürte. Keiner von beiden sprach ein Wort. Sie kehrte im Schutz der Nacht in das königliche Gemach zurück, während sich Ticius aus dem Palast schlich und zu Josars Haus eilte.
Es war noch nicht hell, als Josar voller Trauer die Todesnachricht entgegennahm. Er musste Marcius eine Botschaft schicken, so hatte der
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