Die stumme Bruderschaft
sagt mir, wenn da etwas ist, was auch immer, dann müsst ihr das aus einer historischen Perspektive betrachten, nicht aus der polizeilichen, aber wie ihr wollt.«
Sie kamen überein, sich nächste Woche erneut zum Abendessen zu treffen. Dann wollte Lisa die Gastgeberin sein.
»Weißt du, Bruderherz, ich überlege, ob ich nicht noch ein paar Tage bleiben soll.«
»Ana, ich weiß, dass das, was Marco dir erzählt hat, eine gute Geschichte für deine Zeitung ist, aber Marco ist mein Freund. Außerdem würde ich mir Probleme auf der Arbeit einhandeln, wenn sich herausstellte, dass meine Schwester Daten aus polizeilichen Ermittlungen veröffentlicht, die sie nur über mich erfahren haben kann. Du würdest schlichtweg meine Karriere ruinieren.«
»Jetzt werde doch nicht gleich melodramatisch, ich schreibe keine Zeile, ich verspreche es dir.«
»Du machst mir keinen Stress? Du respektierst das off the record? «
»Nein, ich mache dir keinen Stress, du kannst beruhigt sein, ich bin schließlich deine Schwester. Außerdem respektiere ich das off the record immer, es ist Teil der Spielregeln meines Berufs.«
»Warum bist du nur Journalistin geworden!«
»Dein Job als Polizist ist noch schlimmer.«
»Los, ich lade dich auf einen Drink in ein Lokal ein, das dir gefallen wird, es ist absolut in, da kannst du ein bisschen angeben, wenn du wieder in Barcelona bist.«
»Einverstanden, aber ich möchte, dass du mir vertraust. Ich glaube, ich kann euch helfen, und ich verspreche dir, ich werde zu keinem Menschen ein Wort sagen und nicht eine Zeile schreiben. Ich finde solche Geschichten nur einfach faszinierend.«
»Ana, ich kann nicht zulassen, dass du dich in Ermittlungen des Dezernats für Kunstdelikte einmischst. Das schafft mir Probleme, ich habe es dir schon gesagt.«
»Aber das merkt doch keiner. Ich schwöre es dir, vertrau mir doch. Ich bin es leid, über Politik zu schreiben, Skandale in den Regierungen aufzuspüren. Ich habe bei meinem Job viel Glück gehabt, es ist von Anfang an gut gelaufen, aber ich bin noch nie auf eine große Geschichte gestoßen, und dies könnte eine sein.«
»Aber hast du nicht gerade gesagt, du willst mit niemandem darüber reden und nichts darüber schreiben?«
»Das werde ich auch nicht!«
»Und was soll das dann mit der großen Geschichte?«
»Schau, ich schlage dir einen Deal vor. Du lässt mich auf eigene Faust ermitteln, ohne jemandem etwas zu verraten. Ich werde nur dir erzählen, was ich in Erfahrung bringe, sofern ich überhaupt etwas in Erfahrung bringe. Wenn ich eine Spur finden sollte, die euch helfen könnte, hinter das Geheimnis der Vorfälle in der Kathedrale zu kommen, und Marco den Fall löst, dann würde ich euch bitten, mir zu erlauben, das Ganze oder zumindest einen Teil zu erzählen. Aber nicht bevor der Fall abgeschlossen ist.«
»Das geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil es nicht meine Angelegenheit ist, ich kann und darf hier keine Deals machen, weder mit dir noch mit sonst jemandem. Warum habe ich dich nur mit zu Marco zum Abendessen genommen!«
»Santiago, jetzt werde doch nicht wütend! Ich hab dich gern und ich würde nie etwas tun, das dir schadet. Ich bin Journalistin, mir macht meine Arbeit Spaß, aber du gehst vor, ich würde nie den Journalismus wichtiger nehmen als die Menschen, nie. Und in diesem Fall schon gar nicht.«
»Ich will dir ja vertrauen Ana – außerdem bleibt mir gar nichts anderes übrig. Aber morgen fliegst du nach Spanien zurück, du bleibst nicht hier.«
15
Der Stumme ließ den Blick über die Straße schweifen. Der LKW-Fahrer, der ihn nach Urfa gebracht hatte, schien so stumm zu sein wie er, er hatte kaum das Wort an ihn gerichtet, seit sie Istanbul verlassen hatten. Er war im Haus des Mannes aufgetaucht, der ihn versteckte.
»Ich komme aus Urfa, ich bin hier, um Zafarin abzuholen.–«
Sein Wächter hatte genickt und ihn aus dem Zimmer geholt, wo er schlief. Zafarin erkannte den Mann, er war aus seinem Dorf, ein Vertrauter von Addaio.
Sein Gastgeber gab ihm eine Tüte mit Datteln, Orangen und eine paar Flaschen Wasser und begleitete sie bis zum Wagen.
»Zafarin«, sagte er, »bei diesem Mann bist du sicher, er wird dich zu Addaio bringen.«
»Welche Anweisungen hast du?«, fragte er den Fahrer.
»Ich soll ihn so schnell wie möglich dorthin bringen und nirgends halten, wo wir auffallen könnten.«
»Er muss heil ankommen.«
»Das wird er. Ich halte mich an die Befehle Addaios.«
Zafarin setzte sich auf den
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