Die stumme Bruderschaft
Welt geplaudert und hervorragend gegessen, wie zu erwarten, denn die Vecchia Lanterna gehörte zu den besten und teuersten Lokalen Turins.
»Das gesellschaftliche Leben macht mich fertig!«, stöhnte Marco auf dem Weg zur Bar, wo er mit Sofia noch einmal die Einzelheiten des Abends durchgehen wollte.
»Aber wir haben uns doch gut amüsiert.«
»Du bist eine Prinzessin, und du warst in deinem Milieu. Ich bin Polizist und war zum Arbeiten da.«
»Marco, du bist mehr als ein Polizist. Ich darf dich daran erinnern, dass du einen Abschluss in Geschichte hast. Außerdem hast du uns allen mehr über Kunst beigebracht, als wir an der Universität je hätten lernen können.«
»Jetzt übertreib mal nicht. Der alte Bonomi bewundert dich.«
»Er war ein großer Professor und eine Primadonna in der Kunstwelt. Zu mir war er immer nett.«
»Ich glaube, er war insgeheim in dich verliebt.«
»Was redest du da? Du musst wissen, ich war eine ehrgeizige Studentin. Ich habe fast alle Fächer mit Auszeichnung bestanden, eine richtige Streberin eben.«
»Und was hast du von D’Alaqua zu berichten?«
»Ach, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Pater Yves hat Ähnlichkeit mit ihm: Sie sind beide intelligent, korrekt, liebenswürdig, attraktiv und unzugänglich.«
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass D’Alaqua unzugänglich war, außerdem ist er kein Priester.«
»Nein, ist er nicht, aber etwas an ihm lässt ihn so wirken, als wäre er nicht von dieser Welt, als würde er über uns allen schweben … Keine Ahnung, es ist so ein komisches Gefühl, ich kann es dir nicht erklären.«
»Er war doch ganz angetan von dir.«
»Nicht mehr als von anderen. Ich würde ja gerne sagen, dass er sich für mich interessiert, aber es stimmt nicht, Marco, da mache ich mir nichts vor. Ich bin erwachsen, und ich weiß, wann ich einem Mann gefalle.«
»Was hat er zu dir gesagt?«
»In der kurzen Zeit, in der wir allein waren, hat er mich nach dem Stand der Ermittlungen gefragt. Ich habe nur gesagt, dass du das wissenschaftliche Komitee kennen lernen wolltest, alles andere habe ich für mich behalten.«
»Welchen Eindruck hattest du von Bolard?«
»Er ist komisch, derselbe Typ Mann wie D’Alaqua und Pater Yves. Jetzt wissen wir, dass sie sich kennen, aber das war ja zu erwarten.«
»Weißt du was? Mir kommen sie auch eigenartig vor. Ich könnte nicht sagen, woran es liegt, aber sie sind merkwürdig. Sie haben etwas Einnehmendes, vielleicht ihre physische Präsenz, ihre Eleganz, die Selbstsicherheit, die sie ausstrahlen. Sie sind es gewohnt, Befehle zu geben und dass andere ihnen gehorchen. Unser redseliger Professor Bonomi hat mir erzählt, dass Bolard sich nur für die Wissenschaft interessiert und deswegen Junggeselle geblieben ist.«
»Es wundert mich, dass er sich so für das Grabtuch aufopfert, obwohl er weiß, dass der C-14-Test es auf das Mittelalter datiert hat.«
»Ja, mich auch. Mal sehen, was bei dem Treffen mit ihm morgen herauskommt. Ich will, dass du auch dabei bist. Ah, und erklär mir, was es mit dem Essen bei Bonomi auf sich hat.«
»Er hat D’Alaqua förmlich bedrängt, mich in die Oper und danach zum Abendessen bei ihm zu Hause mitzunehmen. D’Alaqua ist nichts anderes übrig geblieben, als ja zu sagen, aber ich weiß nicht, ob ich hingehen soll.«
»Aber klar, und halt die Ohren auf. Du bist in einer dienstlichen Mission dort. All diese so geachteten, mächtigen Männer haben ihre Leichen im Keller, und vielleicht weiß einer von ihnen etwas über die Vorfälle in der Kathedrale.«
»Marco, bitte! Es ist doch absurd zu glauben, einer dieser Männer hätte mit den Bränden oder den Stummen zu tun …«
»Nein, es ist nicht absurd. Jetzt spricht der Polizist zu dir: Ich traue den großen Tieren nicht. Um da oben hinzukommen, haben sie auf viel Scheiße und den Köpfen anderer herumtreten müssen. Jedes Mal, wenn wir eine Diebesbande ausheben, die Kunstschätze klaut, stoßen wir auf irgendeinen exzentrischen Millionär dahinter, der in seiner privaten Galerie haben will, was der Menschheit gehört. Du bist eine Märchenfee, aber das sind Haie, die alles aus dem Weg räumen, was sich ihnen entgegenstellt. Vergiss das nicht, wenn du morgen in die Oper und zu dem Abendessen bei Bonomi gehst. Ihr tadelloses Benehmen, die gelehrten Gespräche, der Luxus, mit dem sie sich umgeben, das ist alles Fassade, reine Fassade. Ich traue ihnen weniger als den Taschendieben in Trastevere, hör auf mich.«
»Ich muss mir noch ein
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