Die stumme Bruderschaft
nicht geben werde. Papst Innozenz würde mich exkommunizieren. Er will das Mandylion schon lange, und ich habe ihn immer abgewiesen und die Gefahren der Reise angeführt. Der Kaiser müsste die Erlaubnis des Papstes einholen, und Ihr wisst, dass er einen hohen Preis verlangen würde, und selbst wenn der gute König Ludwig ihn bezahlen könnte, würde das Geld in die Tasche der Kirche fließen und nicht in die des Neffen.«
Pascal de Molesmes beschloss, seine letzte Karte auszuspielen.
»Ich möchte Euch daran erinnern, Hochwürden, dass das Mandylion nicht Euch gehört. Die Truppen des Kaisers Romanos Lekapenos haben es nach Konstantinopel gebracht, und das Reich hat nie auf sein Eigentumsrecht verzichtet. Die Kirche bewahrt das Tuch lediglich auf. Balduin bittet Euch, es ihm freiwillig zu überlassen, und er wird sich Euch und der Kirche gegenüber großzügig zeigen.«
De Molesmes’ Worte trafen den Bischof.
»Wollt Ihr mich bedrohen, Monsieur de Molesmes? Der Kaiser bedroht die Kirche?«
»Balduin ist, wie Ihr wisst, ein großer Anhänger der Kirche. Er würde sie mit seinem Leben verteidigen, wenn es notwendig wäre. Das Mandylion ist Eigentum des Reichs, und der Kaiser verlangt es zurück. Erfüllt Eure Pflicht.«
»Meine Pflicht ist es, das Antlitz Christi zu verteidigen und es der Christenheit zu erhalten.«
»Ihr habt Euch auch nicht dagegen gewehrt, dass die Dornenkrone aus dem Pantokrator-Kloster an den König verkauft wurde.«
»Ich weiß, dass Ihr intelligent seid, Monsieur de Molesmes. Glaubt Ihr wirklich, dass das die Dornenkrone Jesu war?«
»Ihr nicht?«
In den Augen des Bischofs funkelte Wut. Die Spannung zwischen beiden hatte ihren Höhepunkt erreicht.
»Monsieur de Molesmes, Eure Gründe haben mich nicht überzeugt, sagt das dem Kaiser.«
Pascal de Molesmes neigte das Haupt. Das Duell war für den Moment beendet, aber beiden war klar, dass Sieger und Besiegter noch nicht feststanden.
Der Adelige verließ das Gemach mit trockener Kehle, ohne einen Tropfen von dem Wein aus Rhodos probiert zu haben, den der Bischof ihm angeboten hatte. Er bedauerte das, denn es war einer seiner Lieblingsweine.
Am Eingang zum Bischofspalast warteten seine Diener mit seinem Pferd, einem pechschwarzen Hengst, der sein treuester Begleiter in dem turbulenten Konstantinopel war.
Sollte er Balduin raten, mit seinen Soldaten vor dem Bischofspalast aufzumarschieren, um die Herausgabe des Mandylion zu erzwingen? Sie hatten keine andere Wahl. Innozenz würde es nicht wagen, Balduin zu exkommunizieren, vor allen Dingen nicht, wenn er erführe, dass das Tuch für den allerchristlichsten König bestimmt war. Sie würden es Ludwig zu einem hohen Preis vermieten, so könnte das Reich einen Teil seiner verlorenen Kraft wieder zurückgewinnen.
Es ging eine sanfte Brise, und Pascal de Molesmes entschloss sich zu einem Spazierritt am Ufer des Bosporus, bevor er in den Kaiserpalast zurückkehrte. Hin und wieder verschaffte es ihm Erleichterung, den bedrückenden Mauern des Palastes zu entfliehen, in denen in allen Winkeln Intrigen, Verrat und Tod drohten, wo man nie recht wissen konnte, wer ein Freund war und wer einem übel wollte. Die Damen und Herren am Hofe verstanden sich vortrefflich auf die raffinierte Kunst der Verstellung. Er vertraute nur Balduin, zu dem er im Verlauf der Jahre eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut hatte, so wie früher zu König Ludwig.
Es war schon viele Winter her, dass der französische König ihn an Balduins Hof geschickt hatte, um das Gold zu übergeben, das er seinem Neffen für die wertvollen Reliquien schuldete, die dieser ihm zusammen mit der Grafschaft Namur verkauft hatte.
Ludwig hatte ihn beauftragt, am Hof Balduins zu bleiben und ihn über alles zu informieren, was in Konstantinopel vor sich ging. In einem von de Molesmes selbst übergebenen Brief empfahl Ludwig von Frankreich seinem Neffen, dem treuen Christen Pascal de Molesmes zu vertrauen, der, so hieß es in dem Brief, nur dazu gekommen war, um für sein Wohlergehen zu sorgen.
Balduin und er waren sich auf Anhieb sympathisch gewesen, und da war er, seit nunmehr fünfzehn Jahren, der Berater und mittlerweile auch der Freund des Kaisers. De Molesmes schätzte Balduins Bemühungen, die Würde des Reichs zu bewahren und Konstantinopel zu halten, ohne dem Druck der Bulgaren oder der Bedrohung durch die Sarazenen nachzugeben.
Wenn er nicht König Ludwig und Balduin gegenüber zur Treue verpflichtet gewesen wäre, wäre er
Weitere Kostenlose Bücher