Die stumme Bruderschaft
riesig, Tausende von Männern lagen tot oder verletzt am Boden, aber Ludwig sagte, Gott sei mit ihm, und er werde siegen. So stachelte er die Soldaten an, und er hatte Recht, wir haben gewonnen, aber nie war ein Sieg so teuer bezahlt. Die christlichen Truppen zogen ab Richtung Damietta, aber der König erkrankte an der Ruhr, und die Soldaten waren hungrig und erschöpft. Ich weiß nicht, wie es geschah, aber das Heer musste zuletzt kapitulieren, und Ludwig wurde gefangen genommen.«
Drückendes Schweigen machte sich in dem Raum breit, die beiden Brüder hingen reglos ihren Gedanken nach.
Durch das Fenster hörte man die Stimmen der Tempelritter, die sich im Hof der Festung körperlich ertüchtigten, dazu die knarrenden Räder der Wagen und das eintönige Hämmern des Schmiedes.
Endlich brach André de Saint-Remy das Schweigen.
»Sag mir, wer ist zum neuen Großmeister gewählt worden?«
»Unser Großmeister ist jetzt Renaud de Vichiers, Praeceptor aus Frankreich, Marschall des Ordens. Du kennst ihn.«
»Ja. Renaud de Vichiers ist ein umsichtiger und frommer Mann.«
»Er hat befohlen, mit den Sarazenen über Ludwigs Freilassung zu verhandeln. Die Adeligen des Königs haben ebenfalls Botschafter entsandt. Als ich mich auf den Weg hierher machte, waren die Verhandlungen ins Stocken geraten, aber der Großmeister vertraut darauf, dass der König freikommt.«
»Was verlangen sie?«
»Ludwig muss furchtbar leiden, obwohl man ihn gut behandelt und die sarazenischen Ärzte sich um ihn kümmern. Sie wollen, dass die christlichen Truppen Damietta zurückgeben.«
»Und sind Ludwigs Adelige dazu bereit?«
»Sie werden tun, was der König sagt. Nur er kann kapitulieren. Renaud de Vichiers hat dem König eine Botschaft geschickt, das Angebot anzunehmen. Unsere Spione sagen, die Sarazenen würden sich auf nichts anderes einlassen.«
»Was für Befehle hast du für mich vom Großmeister?«
»Ich habe ein versiegeltes Dokument und mündliche Botschaften.«
»So sprich.«
»Wir müssen das Mandylion in unseren Besitz bringen. Der Großmeister sagt, es sei die einzige Reliquie, deren Echtheit bestätigt ist. Wenn du es hast, sollst du es zu unserer Festung in Saint Jean d’Acre bringen. Niemand darf wissen, dass es in unserem Besitz ist. Du musst es kaufen und alles tun, was du für notwendig erachtest, nur darf niemand erfahren, dass es für den Templerorden ist. Für das Mandylion würden die christlichen Könige töten. Der Papst würde es für sich fordern. Wir haben ihm viele der Reliquien geschenkt, die du Balduin während der letzten Jahre abgekauft hast, andere sind im Besitz von Ludwig von Frankreich, verkauft oder verschenkt von seinem Neffen.
Wir wissen, dass Ludwig das Mandylion haben will. Nach dem Sieg von Damietta hat er ein Gefolge mit einer Botschaft an den Kaiser und Schriftstücke mit Befehlen nach Frankreich geschickt.«
»Ja, ich weiß, vor ein paar Tagen ist der Comte de Dijon hierher gekommen und hat dem Kaiser einen Brief übergeben. Ludwig fordert von seinem Neffen das Mandylion. Dafür sichert er ihm seine Unterstützung zu.«
Robert de Saint-Remy übergab seinem Bruder mehrere versiegelte Schriftrollen, und dieser legte sie auf den Tisch.
»Sag mir, André, weißt du etwas von unseren Eltern?«
André de Saint-Remys Mundwinkel zuckten, er schaute auf den Boden, schluckte, und dann antwortete er seinem Bruder.
»Unsere Mutter ist tot. Unsere Schwester Casilda auch. Sie starb bei der Geburt ihres fünften Kindes. Vater ist alt, aber den letzten Winter hat er noch erlebt. Er sitzt stundenlang im großen Salon, er kann sich kaum noch bewegen, seine Füße sind stark angeschwollen. Unser ältester Bruder Umberto verwaltet das Erbe, das Herzogtum blüht und gedeiht, und Gott hat ihm vier gesunde Kinder geschenkt. Es ist so lange her, dass wir Saint-Remy verlassen haben …«
»Aber ich denke immer noch an die Pappelallee, die zum Schloss führt, an den Geruch von frisch gebackenem Brot und an unsere Mutter, wie sie uns Lieder vorsingt.«
»Robert, wir haben uns dafür entschieden, Templer zu werden, wir können und dürfen uns keinen wehmütigen Erinnerungen hingeben.«
»Ach, Bruderherz! Du warst immer zu streng zu dir.«
»Sag mal, wie kommst du eigentlich zu einem sarazenischen Schildknappen?«
»Ich habe gelernt, die Sarazenen zu respektieren. Es gibt weise Männer unter ihnen, Ritterlichkeit und Ehre. Ich muss dir gestehen, dass ich sogar den einen oder anderen Freund in ihren Reihen
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