Die stummen Götter
„Ich möchte wetten, daß es wieder losgeht damit, wenn die neue Station fertig ist.“
„Ich auch“, sagte Nordin.
Und Bergander meinte: „Sie wollen doch wohl nicht etwa be haupten, daß die...“
„Doch!“ unterbrach ich ihn entschieden. „Genau das will ich behaupten. Sie beobachten jeden unserer Schritte hier. Wir wer den es erleben!“
Den Aufstieg im Steiggleiter dann machte ich mit einem von Kraneis’ Männern zusammen, der etwas Vergessenes herunter holen sollte, doch ich wechselte kein Wort mit ihm. Auch auf der ALGOL selbst beeilte ich mich dann, daß ich vom Landedeck herunterkam, ohne jemandem in die Hände zu laufen. Erst in meiner Kabine wurde mir wohler. Ich hatte einfach das Bedürfnis gehabt, nach alledem erst einmal mit mir und meinen Gedanken allein zu sein. Ich drückte den Anwesenheitsknopf an der Kommunikationsleiste und schaltete mich dadurch wieder in das automatische Versorgungssystem des Schiffes ein. Gleichzeitig würde auch in der Zentrale ein grünes Lämpchen auf Rot umschalten, und auch Castor wußte nun, daß ich wieder an Bord war. Ich hoffte jedoch inständig, daß er mich in Ruhe lassen würde.
Er ließ mich in Ruhe. Alle ließen sie mich in Ruhe. Die neuen Ereignisse am Wall unten mochten sie ohnehin schon genug in Trab halten. Mir war das alles recht so. Entscheidendes würde sicher in den nächsten Stunden nicht geschehen – weder von der Seite der Tantaliden noch von uns aus.
Ich machte mich ein wenig frisch, aß eine Kleinigkeit, rauchte, trank einen Schluck Gin, und dann ließ ich mich in einen der Schalensessel vor meinem Bildwandler fallen und schaltete die Außenprojektion ein. Da lag nun Tantalus unter mir, eine rie sige und dennoch mit spielerischer Schwerelosigkeit im Raum schwebende Kugel. Auch Tantalus war ein „Blauer Planet“ – wie unsere heimatliche Erde. Ich sah riesige Wolkenfelder im Osten von Gondwana I aufziehen und darin nicht minder riesige Blitze gleich einem glühenden Spinnennetz hin und her weben. In wenigen Stunden würde das Unwetter über der Sta tion sein, falls die Kontinentale Kordillere es nicht aufhielt, doch von hier oben sah das alles spielzeughaft und trotz allem sehr friedlich aus. In einer knappen Stunde würde unten am Strand die Nacht hereinbrechen, die fast so lang währte wie zwei volle Tage auf Erden.
Ich setzte mich bequemer zurecht und dachte daran, wie das alles begonnen hatte.
Der Saturnsatellit Parzival war vor einhundertfünfundachtzig Jahren entdeckt worden. Es war dies die Zeit, in der die Mensch heit ihre kosmischen Stützpunkte immer weiter in den Raum hinaus vorgeschoben hatte und die Schürfungen nach seltenen Metallen und Mineralien auf Venus und Mars schon in vollem Gange waren. Die Vervollkommnung der Plasmatriebwerke mit hydromagnetischem Ringstoßrohr und die Verwendung des Li thiumhydrids als Arbeitsmittel bei den Lastraketen hatte das damals ermöglicht und den Transport der gewonnenen Erze zur Erde oder den Aufschließungswerken auf dem Mond rentabel gemacht. Nach der Errichtung der Astrophysikalischen Station auf Deimos war die Station II auf dem Jupitermond Europa in Betrieb genommen worden. Der gesamte Bereich des Asteroiden gürtels bis über die Jupiterbahn hinaus gehörte schon damals zum erschlossenen und ständig von Raumschiffen befahrenen Teil des Kosmos. Ich bin selbst auf Europa gewesen, und das war für mich zu einem unvergeßlichen Erlebnis geworden, bis auf den heutigen Tag.
Der ganze Mond, der immerhin nahezu die Größe unseres Erdbegleiters besitzt, strahlt in glitzerndem Weiß. Riesige Eis berge aus Ammoniak und Wasser bedecken seine Oberfläche mit einer wirren, schroffen, die Augen blendenden Gebirgsland schaft. Nur entlang des Mondäquators zieht sich ein dunkler Streifen nackten Gesteins. Spuren einer Atmosphäre sind vor handen, und schleierige Ammoniaknebel jagen über die tote, erstarrte Landschaft im heulenden Methanwind dahin. In der Äquatorzone nun war die Station errichtet worden. Die ursprüng lich verwandten Lotosschotten aus herkömmlichem, schockver dichtetem Stahl, die die Eingänge zu den tief in den Fels ge sprengten Kavernen deckten, waren freilich längst durch die mo dernen Irisschotten aus dem erst Jahrzehnte später entwickelten Elektronit ersetzt worden. Auch die Umrüstung des Observa-tionsturmes war dann auf der Grundlage von Elektronit vorgenommen worden. Doch im Innern, in den Arbeits- und Aufenthaltsräumen, hatte es schon von Anfang an allen Kom
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