Die stummen Götter
fort gegeben, der den Aufenthalt auf diesem von grenzenloser Einsamkeit umwitterten Vorposten des Menschengeschlechts nur irgend annehmbarer hatte machen können. Sogar künstliche Gär ten hatten sie dort angelegt. Der Riesenplanet Jupiter geht im Gleichgang der Mondumläufe als ein gigantischer, alles zu er drücken scheinender Ball auf und unter, und selbst bei der relativen Nähe der Europa zu ihm enthüllt er nur wenig von seiner eigentlichen Oberfläche tief unter dem dichten Grau seiner gewaltigen, aller paar Jahre von blutrot leuchtenden Eruptionen aufgefetzten Atmosphäre. Eine entsetzlich fremde, tote, ge spenstische Welt, in der sich der Mensch, ob er nun will oder nicht, verloren und preisgegeben vorkommt. Ich habe stets die Wissenschaftler bewundert, die Jahre um Jahre in dieser von Gott und allen Dämonen verlassenen Station ihre Pflicht erfüllen. Daran ändert auch nichts das bezaubernde und einen wie in einen Traum entrückende Schauspiel, das man gerade auf Eu ropa hat, wenn die übrigen elf Monde des großen Planeten, von denen man zumindest Jo, Ganymed und Kallisto etwa in der scheinbaren Größe unseres Erdtrabanten beobachten kann, wie goldene Scheiben in majestätischer Lautlosigkeit aus der kosmi schen Nacht um Jupiter herum aufsteigen und wieder versinken. Den, der dort zu leben und zu arbeiten hat, wird es wohl nur mit unstillbarer Sehnsucht nach grillendurchzirpten, warmen Som mernächten auf der heimatlichen Erde erfüllen.
Von eben dieser Station auf Europa aus war also Parzival entdeckt worden. Es war dies der vierzehnte Saturnmond und der vierte neuaufgefundene, der damit zu den bereits in klassi scher Zeit bekannten zehn hinzukam. Doch es dauerte noch ein mal über hundert Jahre, ehe Kapitän Scholkow, der wegen Ma schinenschadens auf Parzival niedergehen mußte, jenen histo rischen Funkspruch zur Erde sandte: Auf Saturnsatellit Parzival Raumstation außerirdischen Ursprungs entdeckt. Erbitte An weisungen. Scholkow – Kommodore der VII. Transporterflot tille.
Eine Sensation ersten Ranges war das gewesen, und Expedi tion auf Expedition startete zu Parzival, um den geheimnisvollen, unbegreiflichen Anlagen, die dort von irgendwem installiert worden waren, ihr Rätsel zu entreißen. Damals wurde das Wort „Tantaliden“ geboren. Geprägt hatte es Professor San-Yan von der Universität Tokio, der auch als erster auf den wahrschein lichen Ursprung der Tantaliden-Kultur in unserem Sonnen system verwies. Den Namen des verschollenen Geschlechts aber hatte San-Yan von dem Element Tantal abgeleitet, das jene in auffälliger Vielfalt in den meisten in ihrer Station vorgefunde nen Bau- und Werkstoffen verwendet hatten. Das Alter der Anlagen wurde auf gut und gerne zweieinhalbtausend Jahre geschätzt, und es galt als sicher, daß während der letzten andert halb Jahrtausende kein lebendes Wesen mehr seinen Fuß dort hineingesetzt hatte. Die auch bis zu meinem Besuch dort noch nicht aufgefundene Steuerzentrale war offensichtlich auf Leerlauf geschaltet worden, und außer der sich in geisterhafter Lautlosigkeit vollziehenden ständigen Erhaltung der stationseigenen Biosphäre ging dort schon seit vielen Jahrtausenden nichts wei ter vor sich. Licht wurde also erzeugt, und dies auf eine völlig unerklärbare Art und Weise in allen Räumen und Gängen, Wärme wurde erzeugt – die ständig gleichbleibende Tempera tur betrug überall einundzwanzig Grad Celsius – , und die Atemluft wurde offensichtlich umgewälzt, gereinigt und erneuert. Was nicht vorhanden war oder jedenfalls nicht aufgefunden werden konnte, war Wasser, nicht einmal Tanks oder Leitungen dafür und auch keinerlei sanitäre Anlagen irgendwelcher Art. Doch damit fingen die eigentlichen Unbegreiflichkeiten erst an.
Der Name „Tantaliden“ jedenfalls beschäftigte zur Zeit Schol- kows und San-Yans die Öffentlichkeit mindestens ebensosehr wie vor fünfhundert Jahren die Auffindung der vermeintlichen Marskanäle durch Giovanni Schiaparelli, der dazumal Direktor der altehrwürdigen Sternwarte von Milano war. Die uralten Hypothesen von dem ehemals vorhanden gewesenen zehnten Planeten in der Lücke der Titius-Bodeschen Reihe zwischen Mars und Jupiter wurden neu belebt und mit all den Rätseln verbunden, die schon in klassischer Zeit die Phantasie der Menschheit bewegt und auf die zeitweilige Anwesenheit außerirdischer Intelligenzen hingedeutet hatten. Danach sollte jener Planet jenseits der Marsbahn einer Katastrophe zum Opfer ge fallen
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