Die Stunde der Schwestern
Denise in mitleidigem Ton. Seit Bérénice ihr von der Trennung von Hippolyte erzählt hatte, rief sie fast täglich bei ihrer Tochter an, um ihr »beizustehen«, wie sie es nannte.
»Gut, wirklich gut«, antwortete Bérénice automatisch.
»Ach ja? Das wundert mich. Aber dann weißt du es wahrscheinlich noch nicht.«
»Was weiß ich noch nicht?« Bérénice unterdrückte einen ungeduldigen Seufzer.
Denise machte eine kunstvolle Pause, bevor sie weitersprach: »Ich habe es ja schon seit Wochen geahnt, ich wollte dich nur nicht beunruhigen.«
»Maman, was ist denn?« Bérénice wurde ungeduldig.
»Dein Mann hat sich ja schnell getröstet. Mit einer bildhübschen jungen Deutschen. Die ganze Stadt spricht darüber, denn Hippolyte zeigt sich oft und gern mit ihr.«
Denise wartete die Wirkung ihrer Worte ab, doch Bérénice reagierte kaum, blieb einsilbig und erklärte dann, Hippolyte habe doch das Recht dazu, schließlich seien sie bereits seit einem halben Jahr getrennt. Sie beendete das Gespräch mit einer gemurmelten Entschuldigung, bevor Denise noch einmal etwas sagen konnte.
Den Hörer immer noch in der Hand, ließ Bérénice sich aufs Sofa fallen. Ihrer Mutter gegenüber hatte sie Hippolyte verteidigt, doch jetzt überfiel sie der Schmerz über die Neuigkeit heftig und durchdringend. Sie hatte nicht daran gedacht, dass Hippolyte sich wieder verlieben könnte. Vielleicht irgendwann einmal, aber nicht jetzt, so schnell, so bald nach ihrer Trennung. Offenbar glaubte er, es sei Zeit, ein neues Leben zu beginnen. Das sollte sie vielleicht auch, doch das Gefühl der Enttäuschung war da, und es wäre sinnlos gewesen, es zu ignorieren.
Da griff Bérénice nach ihrer Tasche, die auf dem Tisch stand, holte entschlossen die Karte von Jean Bergé heraus und wählte seine Nummer.
*
»Ich bin gern hier.«
Jean Bergé rückte Bérénice den Stuhl zurecht und nahm ihr gegenüber an dem kleinen Tisch Platz. »Ich mag die familiäre Atmosphäre«, erzählte er weiter, während Bérénice sich neugierig umsah. Sie hatte schon viel von diesem Lokal gehört, das für seine klassische französische Küche bekannt war. Kellner mit langen weißen Schürzen balancierten große Tabletts über die Köpfe der Gäste hinweg, es war eng, heiß und laut, aber es duftete wunderbar. Bérénice fühlte sich sofort wohl. Jean bestellte Champagner, und während sie ihre Hummersuppe löffelten, erzählte er von Fotoaufnahmen in Amerika, in der Karibik und in Asien. Es war lange her, seit Bérénice sich mit einem Mann verabredet hatte. Das lag Jahre zurück, denn es war immer Hippolyte gewesen, mit dem sie ausgegangen war. Doch Jean verstand es, ihr leichtes Unbehagen mit seiner lockeren Unterhaltung zu zerstreuen, und so beantwortete sie bereitwillig seine Frage, ob sie allein lebe oder verheiratet sei.
»Mein Mann und ich haben uns nach zwanzig Jahren getrennt. Die letzten vier Jahre lebten wir in Paris, besser gesagt,
ich
lebte in Paris, mein Mann war beruflich ständig unterwegs.«
»Was ist Ihr Mann von Beruf?«, wollte Jean wissen.
»In dieser Zeit war mein Mann Vertreter für südafrikanische Weine, hielt sich viel in Südafrika auf und bereiste ganz Frankreich. Aber im vergangenen April ist er in die Provence zurückgegangen und konnte dort das Weingut seiner Familie zurückkaufen. Er ist glücklich«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu. Plötzlich hatte sie keinen Appetit mehr.
»Und Sie, Bérénice? Haben Sie Design studiert? Seit wann arbeiten Sie für Maxime?«
»Wollen Sie das wirklich wissen?« Sie sah hoch und fing ein Lächeln von Jean auf, der sie interessiert beobachtete.
»Sonst hätte ich nicht gefragt«, war seine Antwort.
Bérénice legte ihren Löffel neben den leeren Teller. »Nach dem Gymnasium bin ich in Marseille auf die bekannte Schule für Design und Sticktechnik für Haute Couture gegangen. Doch vier Wochen nach meinem Abschluss habe ich geheiratet und daher meinen Beruf erst einmal nicht ausgeübt. Aber die Leiterin der Schule, die selbst für Couture-Häuser gearbeitet hat, gab Aufträge an mich weiter. Das hat mir sehr viel Freude gemacht, ich konnte zu Hause arbeiten und mir eigene Techniken und auch Routine aneignen. Als ich mich vor vier Jahren dann an sie wandte, weil ich dringend einen Job brauchte, stellte sie den Kontakt zum Haus Malraux her.«
»Und dann verließen Sie nach sechzehn Jahren die schöne Provence und gingen nach Paris. Haben Sie das nicht bereut?«
»Wir mussten«,
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