Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
merkwürdig, wie sehr ihr diese Worte auf dem Weg zu Malcolms Burg nachgingen …
»Schläfst du schon?«, wisperte Christina und tastete in dem riesigen Bett nach ihrer Schwester. »Margaret? Schläfst du?« Hatten sie sich nicht erst vorhin nebeneinander zum Schlafen hingelegt? Nach einem fettigen Essen in der Halle war Christina auf diesem Lager eingenickt, obwohl sie doch hatte wach bleiben wollen, weil ihr alles so unheimlich vorkam. Nun schliefen die anderen – und sie war hellwach.
Man hörte Seufzen, Grunzen, jemand murmelte im Schlaf vor sich hin. Das Rascheln von Mäusen verriet, dass sie, von Katzen unbehelligt, im Stroh nach Körnern suchen konnten. Die Mutter am anderen Ende des Lagers bewegte sich unruhig, doch ihr Schnarchen ließ darauf schließen, dass sie fest schlief. Kein Wunder nach den Anstrengungen. Katalin grunzte im Traum, nachdem sie sich mit ungarischen Heiligenlitaneien in den Schlaf gesungen hatte, weil sie den Teufel in diesen Hallen fürchtete und Dämonen in jeder Ecke vermutete.
Vielleicht hatte sie recht damit. Christina war sich nicht sicher. Drüben in der Halle saßen Männer, die ein Land in Aufruhr gebracht hatten. Ihr Widerstand gegen den normannischen Eroberer und neuen König Wilhelm schien ungebrochen, obwohl sie nun erst einmal außerhalb seines Reiches Luft holten, um zu überlegen, wie sie weiter vorgehen sollten.
Ihr Bruder Edgar zählte keine sechzehn Jahre, und sie fand ihn viel zu jung für die Krone. Er war aufbrausend und ließ sich viel zu leicht beeinflussen. Dennoch kämpfte er für seine Sache mit der Verbissenheit und Intriganz eines alten Haudegens, das musste sie neidlos anerkennen. Und fast hätte er es ja auch geschafft: Der englische Kronrat Witan hatte ihn nach König Harolds Ableben im letzten Herbst zum König ausgerufen. Mit einem Kreis erfahrener Männer – jene, die nun bei ihm saßen – hätte er trotz seiner Jugend England regieren und gegen den normannischen Angreifer verteidigen sollen. Doch Wilhelm von der Normandie war zu stark gewesen, zu skrupellos, und man munkelte, auch zu schlau für die trägen Angelsachsen. Er hatte nicht gezögert und war nach der gewonnenen Schlacht von Hastings gleich auf London marschiert. Er hatte die Stadt eingekreist und sich am Weihnachtstag des Jahres 1066 die englische Krone einfach genommen. Und Edgar hatte tatenlos zusehen müssen.
Christina starrte ins Dunkel. Damals hatte die trügerische Sicherheit ihres Lebens ein Ende gehabt. Man hatte sie und ihre Schwester aus dem Konvent geholt und auf einem Landgut versteckt, bis sich die Lage in London beruhigt hatte. Sie fand, nichts hatte sich beruhigt. Und sie sehnte sich nach der Ruhe und Ordnung des Klosters zurück.
Edgar war in der Halle bei den Männern geblieben und teilte sich Bier mit ihnen, obwohl er keines vertrug. Am Abend hatten sich auch der northumbrische Earl Cospatric und sein Verbündeter John Merlewein mit ihren Getreuen eingefunden. Sie waren mit ihrem Schiff dem Sturm durch glückliche Fügung entronnen und weiter nördlich an Land gegangen, von wo aus man sie nach Edinburgh geleitet hatte. Ihre Ankunft hatte Aufsehen erregt, weil Cospatric sich vor ihrem Bruder zu Boden geworfen hatte und ihm damit mehr Respekt erwies als dem königlichen Gastgeber. Christina mochte Earl Cospatric nicht. Er war ein grobschlächtiger, hässlicher Mensch, der Edgar nur benutzte, und sie hasste seine berechnenden Schmeicheleien. Sie hatte schnell verstanden, dass Cospatric lediglich seine northumbrischen Besitztümer wiederhaben wollte, die König Wilhelm ihm abgenommen und einem seiner eigenen Leute gegeben hatte. Dafür würde er jeden Weg und über Leichen gehen. Sie fand, dass Edgar sich von diesem Schlitzohr blenden ließ und jene Vorsicht vergaß, für die sie ihren jungen Bruder immer bewundert hatte.
Sie seufzte.
»Ich bete«, kam es da überraschend aus der Dunkelheit. Das Feuer in der Mitte des Raumes war heruntergebrannt, und die Glut reichte nicht aus, um mehr als den Boden erkennen zu lassen. Schmutzig, wie sie den Raum am Abend wahrgenommen hatte, war es vielleicht auch besser so. Offenbar räumte hier niemand den Unrat weg, den die Hunde verschmähten. Es roch muffig, nach zu vielen Schläfern, schlechtem Atem und kaltem Essen, und es roch auch nach altem Blut, vielleicht menstruierte eine der Mägde. Margaret rutschte zwischen die Felle, offenbar hatte sie neben dem Lager auf dem Boden gekniet. »Ist dir auch so kalt?«, wisperte sie.
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