Die Stunde Der Toechter
Nähe der Bahnlinie. Ein kleines Industriegebäude aus Ziegelstein inmitten eines Wohnquartiers. Umgeben von dicht belaubten Bäumen und einem hohen Maschendrahtzaun. Kein schlechtes Versteck. Licht brannte nirgends. Es war noch hell. Und heiß wie am Nachmittag.
Johanna hielt auf einem freien Parkfeld schräg gegenüber und legte sich auf die Lauer. Mit offenen Augen träumte sie davon, einen Italiener anzurufen, der ihr ein Vitello Tonnato und ein kühles Bier bringen würde. Sie sah sich das Fenster herunterkurbeln und von einem dunkel gelockten Jüngling das Tablett entgegennehmen, während auf der anderen Seite Hügli in einem Mustang aus der Einfahrt rollen und das Weite suchen würde, mit Tamara im Kofferraum.
Sie hätte Brötchen besorgen sollen. Verärgert blickte Johanna auf den Beifahrersitz. Dort lag lediglich eine angebrochene Packung Zigaretten.
Das Päckchen leerte sich, ohne dass in dem Gebäude auch nur das Geringste geschah. Draußen wurde es dunkel. Nachdem Johanna die letzte Zigarette im Aschenbecher ausgedrückt hatte, öffnete sie das Handschuhfach. Sie holte einen Gürtel heraus. Daran waren Taschenlampe, Handschellen, Reizstoffspray, Kabelbinder und Taschenmesser festgemacht. Sie band ihn um. Dann kramte sie Latexhandschuhe hervor und zog sie an. Anschließend kontrollierte sie ihre Waffe. Daraufhin stieg sie aus.
Während sie sich umschaute, schaltete sie ihr Handy auf lautlos. In einem Garten war eine Grillparty in vollem Gang. Von verschiedenen Balkonen hörte sie Stimmen und Musik. Gegenüber war immer noch alles ruhig. Dummerweise gingen in diesem Moment die Straßenlaternen an. Nun war der Eingang zu dem Gebäude beleuchtet wie eine Theaterbühne. Johanna suchte den Zaun nach einem dunklen Ort ab. Am linken Rand des Grundstücks ragte ein Baum über den Zaun hinaus. Sie schaute sich um.
Einen ganz kurzen Augenblick lang überlegte Johanna, ob sie von Kranach verständigen sollte. Unautorisiertes Eindringen in ein Gebäude würde er niemals gutheißen. Genauso gut könnte sie nach Hause fahren. Das wiederum brachte sie wegen Tamara Stämpfli nicht übers Herz.
Also überquerte Johanna raschen Schrittes die Straße und kletterte über den Zaun. Auf der anderen Seite angekommen, hielt sie inne und atmete tief durch. Es war alles ruhig. Von der Einfahrt her kam man in eine Art überdachten Hof. Dorthin ging sie nicht. Das Risiko, dass irgendwo Bewegungsmelder installiert waren, war zu groß. Unter den Bäumen hindurch huschte sie auf die Rückseite des Hauses. Dort entdeckte sie zwei Kellerfenster. Sie zog ihre Jacke aus und benutzte sie, um eine der Scheiben so leise wie möglich einzudrücken. Nachdem sie vorsichtig die Scherben weggeräumt hatte, stieg sie ein. Es schien ein Heizungsraum zu sein.
Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, tastete Johanna sich vorwärts. Der nächste Raum war eine Werkstatt. Voller Werkbänke und Maschinen. Es roch nach Öl. Langsam durchquerte sie ihn. In der Mitte des Raumes befand sich eine Art Rampe. Es dauerte einen Moment, bis sie herausgefunden hatte, dass es ein Autolift war. Rechts daneben führte eine Wendeltreppe ins Erdgeschoss hinauf. Die Stufen aus Metall klirrten leise unter ihrem Gewicht.
Vorsichtig stieg sie nach oben. Soweit sie erkennen konnte, bestand das Erdgeschoss aus einer Halle voller Autos. Zur Einfahrt hin war eine Glasfront. Davon hielt sich Johanna fern. Sie schlich an einigen Wagen vorbei. Es schienen alte amerikanische Boliden zu sein.
Die Wendeltreppe ging weiter. Sie tastete sich in den ersten Stock hinauf. Er bestand nur aus einem einzigen Raum. Ein riesiges Bett, eine Sofaecke, eine Leinwand mit Beamer und eine Stereoanlage. Johanna ging in den zweiten Stock. Hier waren Küche, Bad, Toiletten und ein weiteres Schlafzimmer. Es dünkte sie, als liege Tamaras Parfum in der Luft.
Vorsichtig ging sie wieder zu den Autos hinunter. Noch hatte sie nichts gefunden, was eine offizielle Durchsuchung rechtfertigte.
Plötzlich kam ihr eine Ecke im ersten Stock in den Sinn. Sie ging nochmals hinauf. Es handelte sich um eine Bildergalerie. Fotos von Hügli in jungen Jahren als Boxer. Mit verschiedenen Berühmtheiten. Politikern, Stars und Sternchen. Mit seiner Tochter. Vor verschiedenen Autos.
Sex, Geld, Macht, Autos, Anerkennung, Alkohol, Boxen, seine Tochter, sein Sohn hatte Metzger aufgezählt, als sie ihn nach den Dingen gefragt hatte, die Hügli am Herzen lagen. Immerhin war sie sich nun sicher, dass hier
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